Rezension: Ruby Rebelde – Warum sie uns hassen. Sexarbeitsfeindlichkeit

Ruby Rebelde schreibt in „Warum sie uns hassen“ nicht einfach ein Buch über Sexarbeit. Sie schreibt über ein gesellschaftliches Klima, über Doppelmoral, über die Art, wie Menschen über andere urteilen, ohne ihnen je wirklich zugehört zu haben.

Was mich an diesem Buch beeindruckt hat, ist die Mischung aus Wut, Klarheit und analytischer Präzision. Rebelde schafft es, persönliche Erfahrung mit wissenschaftlicher Schärfe zu verbinden. Man spürt in jeder Zeile, dass sie weiß, wovon sie spricht – nicht theoretisch, sondern aus über einem Jahrzehnt Erfahrung in der Sexarbeit. Diese Authentizität zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch.

Der Kern: Sexarbeitsfeindlichkeit als gesellschaftliches System

Rebelde benennt Sexarbeitsfeindlichkeit als strukturelles Phänomen – nicht als individuelle Abneigung oder moralische Meinung, sondern als ein System aus Diskriminierung, Entmenschlichung und Machtmissbrauch. Sie zeigt, wie sehr die Feindlichkeit gegen Sexarbeit mit patriarchalen, konservativen und teilweise auch pseudo-feministischen Denkweisen verwoben ist.

Viele Menschen, auch solche, die sich selbst als progressiv bezeichnen, tragen unbewusst dazu bei, dieses System zu stabilisieren. Das Buch deckt diese Widersprüche schonungslos auf: Die Forderung nach „Abschaffung der Prostitution“ wird entlarvt als Versuch, Kontrolle über weibliche Sexualität zu behalten – nicht als Schutzmaßnahme.

Keine Anbiederung an Mainstream-Feminismus

Besonders stark ist Rebelde, wenn sie sich vom sogenannten „abolitionistischen Feminismus“ abgrenzt. Sie analysiert, wie dieser Zweig des Feminismus Sexarbeitende als Opfer sieht, denen die Fähigkeit abgesprochen wird, selbstbestimmt zu handeln. Das ist einer der Punkte, die mich beim Lesen wütend gemacht haben – aber auf eine produktive Art.

Rebelde zwingt einen, die eigenen Überzeugungen zu prüfen. Wer Sexarbeit grundsätzlich ablehnt, weil er „Schutz“ oder „Würde“ vorschiebt, bekommt in diesem Buch keinen Beifall.
Stattdessen hält sie diesen Personen den Spiegel vor und fragt sinngemäß: Warum glaubst du, besser über mein Leben urteilen zu können als ich selbst?

Historische und politische Tiefenschärfe

Das Buch geht weit über aktuelle Debatten hinaus. Rebelde gräbt tief in die Geschichte der Sexarbeitsfeindlichkeit – von den Reglementierungen des 19. Jahrhunderts über kirchliche
Moralvorstellungen bis hin zu modernen NGO-Strukturen, die sich mit dem Etikett „Menschenrechte“ schmücken, während sie in Wahrheit Entmündigung betreiben.

Diese historischen Linien werden präzise nachgezeichnet und mit heutigen Diskursen verbunden. Besonders spannend fand ich, wie sie aufzeigt, dass viele Argumentationsmuster aus dem 19. Jahrhundert praktisch unverändert weiterleben – nur mit anderen Schlagwörtern.

Persönliche Passagen mit Wucht

Zwischen den analytischen Kapiteln stehen persönliche Abschnitte – manchmal nur ein Absatz, manchmal mehrere Seiten. Da schreibt eine Frau, die nicht nur geforscht, sondern gelebt hat, was sie beschreibt. Diese Passagen sind brutal ehrlich, manchmal schmerzhaft, aber nie selbstmitleidig.

Ich habe beim Lesen oft innegehalten, weil mich diese Offenheit tief berührt hat. Da ist keine Pose, keine Opferrolle, keine Selbstdarstellung – nur Erfahrung, reflektiert und in klare Worte gegossen.

Medienkritik und Machtstrukturen

Ein weiteres starkes Element des Buches ist die Medienanalyse. Rebelde zeigt, wie Berichterstattung über Sexarbeit selten neutral ist. Schlagzeilen und Reportagen reproduzieren alte Vorurteile, sie konstruieren Täter-Opfer-Bilder, die sich gut verkaufen lassen, aber mit der
Realität wenig zu tun haben.

Besonders prägnant sind ihre Analysen zur sogenannten „Prostitutionslobby“. Der Begriff wird in der Öffentlichkeit gern genutzt, um Sexarbeitende oder ihre Unterstützer*innen zu diskreditieren – als ob es sich um eine geheime, manipulative Macht handeln würde. Rebelde zerlegt diese Rhetorik Stück für Stück.

Sprachlich: direkt, präzise, unversöhnlich

Stilistisch schreibt Rebelde schnörkellos, manchmal fast hart. Sie hat kein Interesse an milder Formulierung. Ihre Sprache trägt dieselbe Wucht wie ihr Anliegen. Manche Leser*innen werden das unbequem finden, aber genau das ist der Punkt: Dieses Buch will nicht gefallen – es will verstanden werden.

Wer einen gemütlichen Diskurs erwartet, wird hier enttäuscht. Wer aber bereit ist, zuzuhören, bekommt einen der ehrlichsten und analytischsten Texte über Sexarbeit, die im deutschsprachigen Raum erschienen sind.

Kritikpunkte – klein, aber vorhanden

Die analytische Dichte kann gelegentlich überfordern, besonders für Leser*innen, die mit feministischer Theorie oder Diskursanalyse wenig vertraut sind. Manche Kapitel verlangen Konzentration und Bereitschaft, sich auf ungewohnte Perspektiven einzulassen.

Auch der Fokus auf den deutschsprachigen Raum ist spürbar. Internationale Bezüge bleiben etwas im Hintergrund – das hätte dem Buch an manchen Stellen zusätzliche Tiefe geben können.

Des Weiteren sind die Internetverweise in den Fußnoten der Seite nur mühsam abzutippen. Hier sollte man auf eine E-Book Version des Werkes warten.

Doch das sind Nebensächlichkeiten angesichts der inhaltlichen Kraft.

Persönliche Wirkung

Ich habe das Buch nicht einfach gelesen, ich habe es stellenweise durchlebt. Es hat mich gezwungen, über Macht, Moral und Selbstbestimmung neu nachzudenken. Es hat mich auch daran erinnert, wie tief die gesellschaftliche Verachtung gegenüber Sexarbeit sitzt – selbst dort, wo man sie nicht erwartet.

Für mich, der sich in der Initiative Kundschaft Pro Sexarbeit engagiert, war die Lektüre eine Bestätigung: Wir müssen weiter aufklären, weiter laut sein, weiter differenzieren. Rebelde liefert dafür das theoretische Rückgrat – und die emotionale Wucht.

Fazit

„Warum sie uns hassen“ ist unbequem, aufwühlend und notwendig. Es zeigt, dass Sexarbeitsfeindlichkeit kein Randthema ist, sondern ein Spiegel unserer Gesellschaft. Ruby Rebelde hat ein Buch geschrieben, das lange nachhallt – nicht nur im Kopf, sondern auch im Bauch.

Das Werk ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die glauben, Sexarbeit ließe sich moralisch oder ideologisch abhandeln, ohne den Menschen dahinter zu sehen.

Ich empfehle es allen, die glauben, sie wüssten bereits, was Sexarbeit ist. Nach der Lektüre dieses Buches wird man nicht mehr so denken wie vorher.