Die Studie „Understanding the Impact of EU Prostitution Policies on Sex Workers: A Mixed Study
Systematic Review“ (Oliveira et al., 2023) untersucht die Auswirkungen der unterschiedlichen
Prostitutionsgesetze in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf die Gesundheit, Sicherheit
sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen und -arbeitern. Sie basiert auf
einer umfangreichen systematischen Analyse von 30 Studien aus verschiedenen Ländern und
bezieht wissenschaftliche Literatur sowie „graue“ Literatur (nicht peer-reviewed Berichte und
Studien) mit ein. Die Studien umfassen sowohl quantitative als auch qualitative Ansätze und
wurden zwischen 2000 und 2020 veröffentlicht. Ziel der Untersuchung ist es, die Auswirkungen
von Prostitutionspolitik auf Sexarbeiter und -arbeiterinnen zu analysieren und mögliche politische
Implikationen abzuleiten.
Einführung
Die Diskussion um die Regulierung von Sexarbeit und die politische und gesellschaftliche
Wahrnehmung von Prostitution in der EU ist seit Jahrzehnten ein kontroverses Thema. Während
einige politische Akteure Prostitution als Form der Gewalt gegen Frauen und als moralisches Übel
betrachten, argumentieren andere, dass Sexarbeit als legitimierter Arbeitsbereich anerkannt und
durch entsprechende gesetzliche Regelungen geschützt werden sollte. Die Autoren der Studie
betonen, dass viele Gesetzesänderungen in der Vergangenheit oft nicht auf wissenschaftlichen
Erkenntnissen basieren, sondern durch ideologische Haltungen motiviert sind.
Die Studie zielt darauf ab, die Auswirkungen verschiedener politischer Modelle und
Gesetzgebungen auf die Lebensrealität von Sexarbeitern in den EU-Mitgliedsstaaten zu verstehen
und eine evidenzbasierte Synthese der vorhandenen Literatur zu liefern. Sie untersucht insbesondere
die Auswirkungen der Strafverfolgung, der Kriminalisierung und der Regulierung von Sexarbeit auf
die körperliche und psychische Gesundheit der Sexarbeiter sowie auf ihre Sicherheitsbedingungen
und Arbeitsmöglichkeiten.
Methodik
Die Studie ist als systematische Übersicht angelegt und verwendet eine Meta-Analyse, die
qualitative und quantitative Daten integriert. Um einen möglichst umfassenden Überblick über die
Forschungslage zu erhalten, wurden sowohl veröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten als auch
„graue“ Literatur (nicht peer-reviewed Berichte und Studien) berücksichtigt. Dabei wurde ein
breites Spektrum an Suchquellen genutzt, darunter internationale Datenbanken wie PsycINFO und
Scopus sowie spezifische Quellen wie Open Grey und die TAMPEP-Website.
Der Zeitraum der Datenerhebung wurde auf die Jahre 2000 bis 2020 begrenzt, und es wurden nur
Studien in den Sprachen Englisch, Portugiesisch, Französisch und Spanisch einbezogen. Die
Studien wurden auf die Auswirkungen von Prostitutionsgesetzen in Bezug auf die Gesundheit,
Sicherheit sowie die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitern in den EU-Mitgliedstaaten
fokussiert.
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie sind in drei zentrale Themen unterteilt: Gesundheit, Sicherheit und
Lebens- sowie Arbeitsbedingungen.
1. Gesundheit
Die Auswirkungen der Prostitutionsgesetze auf die Gesundheit von Sexarbeitern variierten je nach
rechtlichem Kontext. In Ländern, in denen Prostitution stark kriminalisiert oder reglementiert
wurde, hatten Sexarbeiter oft eingeschränkten Zugang zu Gesundheitsdiensten. Eine der häufigsten
Barrieren war die Angst vor der Polizei und den damit verbundenen rechtlichen Konsequenzen. In
einigen Ländern, wie etwa Schweden und Spanien, konnte die Kriminalisierung von Sexarbeitern
oder auch die Kriminalisierung von Kunden den Zugang zu Gesundheitsversorgung erschweren.
Besonders betroffen waren Migrantinnen und Migranten ohne gültige Aufenthaltspapiere, die
keinen Zugang zu notwendigen Gesundheitsdiensten hatten und nicht einmal in die sozialen
Sicherheitsnetze aufgenommen wurden.
Es wurde auch festgestellt, dass die gesundheitlichen Risiken, insbesondere die Gefahr, sich mit
HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren, durch restriktive Gesetze und die
damit verbundene Angst vor Behörden und Stigmatisierung verstärkt wurden. In Ländern mit
stärker regulierten Modellen, wie den Niederlanden, gab es zwar Zugang zu Gesundheitsdiensten,
doch die Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten sowie die kriminalisierten Arbeitsumfelder
verhinderten häufig die notwendige medizinische Betreuung.
2. Sicherheit
Ein weiteres zentrales Thema der Untersuchung ist die Sicherheit der Sexarbeiter. In Ländern, in
denen Sexarbeit kriminalisiert wurde, war das Verhältnis der Sexarbeiter zur Polizei und zur Justiz
von Misstrauen und Angst geprägt. In vielen Fällen fühlten sich Sexarbeiter von der Polizei nicht
geschützt, sondern vielmehr als Ziel von Repression und Gewalt. Auch die Kriminalisierung von
Kunden und Dritten, wie etwa in Schweden durch das „Schwedische Modell“, führte zu einer
Zunahme von Gewalt und Risiken für die Sexarbeiter. Diese fühlten sich unter Druck gesetzt,
riskantere Arbeitspraktiken einzugehen, da sie ihre Kunden nicht frei auswählen konnten und mehr
Gewalt erfuhren.
3. Lebens- und Arbeitsbedingungen
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeitern in den verschiedenen Ländern waren stark
von der Gesetzgebung abhängig. In Ländern mit kriminalisierten Prostitutionsmodellen waren viele
Sexarbeiter gezwungen, unter prekären Bedingungen zu arbeiten, was zu höherer
Arbeitsunsicherheit und verstärktem wirtschaftlichen Druck führte. In Ländern mit regulierten
Modellen, wie den Niederlanden, waren die Arbeitsbedingungen weniger problematisch, jedoch
auch dort kam es zu Problemen aufgrund der Stigmatisierung von Sexarbeitern und der
unzureichenden sozialen Unterstützung.
Besonders schwerwiegende Auswirkungen hatte die Kriminalisierung auf Migranten-Sexarbeiter.
Durch die mangelnde rechtliche Anerkennung ihrer Tätigkeit und die damit verbundene
Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt waren sie extrem anfällig für Ausbeutung und Missbrauch. Diese
Problematik wurde in mehreren Ländern beobachtet, darunter Spanien, Schweden und
Griechenland.
Schlussfolgerungen und politische Implikationen
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Kriminalisierung von Sexarbeit in verschiedenen EULändern
schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Gesundheit, Sicherheit und
Lebensqualität der Sexarbeiter hat. Die Kriminalisierung verschärft die sozialen und
gesundheitlichen Ungleichheiten und führt zu einem erhöhten Risiko von Gewalt, Stigmatisierung
und gesundheitlichen Problemen. Die Beweise aus der Forschung legen nahe, dass die vollständige
Entkriminalisierung von Sexarbeit die besten Ergebnisse erzielt, sowohl für die Sexarbeiter als auch
für die Gesellschaft im Allgemeinen.
Die Studie empfiehlt eine umfassende Reform der Prostitutionsgesetze, die auf den Schutz der
Rechte von Sexarbeitern und auf die Schaffung sicherer Arbeitsbedingungen ausgerichtet ist.
Insbesondere wird ein Modell der Entkriminalisierung empfohlen, bei dem weder Sexarbeiter noch
Kunden strafrechtlich verfolgt werden. Dadurch könnten Sexarbeiter Zugang zu sozialen
Sicherheitsleistungen, gesundheitlicher Versorgung und rechtlichem Schutz erhalten, was ihre
Lebens- und Arbeitsbedingungen erheblich verbessern würde.
Zusammenfassend zeigt die Studie die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der
Prostitutionspolitik auf, der sich auf den Schutz der Menschenrechte und die Verbesserung der
Lebensbedingungen der Sexarbeiter konzentriert. Es wird betont, dass künftige politische
Entscheidungen auf soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen sollten und dass die
Stimmen der betroffenen Personen, also der Sexarbeiter selbst, in die Gestaltung dieser Politik
einbezogen werden müssen.
Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.