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Die Studie „What do sex workers think about the French Prostitution Act?“ wurde von Médecins du Monde in Zusammenarbeit mit Forschern und verschiedenen Organisationen durchgeführt. Ziel der Untersuchung war es, die Auswirkungen des französischen Prostitutionsgesetzes vom 13. April 2016 (Sexkaufverbot nach Vorbild des Nordischen Modells) auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen zu dokumentieren. Dieses Gesetz sollte die Bekämpfung des Prostitutionssystems verstärken und Menschen in der Prostitution unterstützen. Die Studie basiert auf qualitativen Interviews mit 70 Sexarbeiterinnen und 24 Organisationen sowie einer quantitativen Umfrage mit 583 Sexarbeiter*innen.

Hintergrund des Gesetzes und Forschungsansatz

Das Gesetz von 2016 brachte zwei wesentliche Änderungen mit sich: Erstens wurde die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen kriminalisiert, womit Freier bestraft wurden. Zweitens wurde ein Ausstiegsprogramm für Menschen in der Prostitution geschaffen. Die Studie konzentrierte sich darauf, wie diese Maßnahmen sich auf die betroffenen Personen auswirkten. Durchgeführt wurde die Untersuchung in verschiedenen Städten Frankreichs, um regionale Unterschiede zu erfassen.

Methodisch kombinierte die Studie qualitative Interviews mit einer quantitativen Befragung. Die qualitativen Interviews wurden zwischen Juli 2016 und Februar 2018 geführt, um sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen des Gesetzes zu analysieren. Die quantitative Umfrage wurde zwischen Januar und Februar 2018 durchgeführt. Ein besonderes Augenmerk lag darauf, die Erfahrungen von Sexarbeiter*innen selbst zu dokumentieren und diese mit Einschätzungen von Organisationen zu ergänzen.

Ergebnisse der Studie

1. Auswirkungen der Kriminalisierung von Freiern

Die Kriminalisierung der Freier sollte ursprünglich die Sexarbeiterinnen schützen. Doch entgegen den Erwartungen führte sie zu einer Verschlechterung ihrer Situation. Da Kunden nun mit Strafen rechnen müssen, ist die Nachfrage gesunken, was Sexarbeiterinnen zwingt, mit weniger und oft risikoreicheren Kunden zu arbeiten. Folgende negative Effekte wurden festgestellt:

  • Erhöhte Unsicherheit: Sexarbeiter*innen berichten von weniger Auswahlmöglichkeiten und kürzeren Verhandlungszeiten mit Kunden. Dadurch sind sie häufiger gezwungen, riskante oder gewalttätige Kunden zu akzeptieren.

  • Verlagerung an gefährliche Orte: Durch das geringere Kundenaufkommen weichen viele Sexarbeiter*innen auf abgelegene Orte oder Online-Plattformen aus, wo sie stärker von Gewalt bedroht sind.

  • Zunahme von Gewalt: Da Sexarbeiter*innen weniger Kunden haben und schlechtere Verhandlungsmöglichkeiten, sind sie häufiger Gewalt ausgesetzt. Einige Organisationen berichten sogar von einem Anstieg sexueller Übergriffe.

  • Wirtschaftliche Unsicherheit: Durch die sinkenden Einnahmen geraten viele Sexarbeiter*innen in finanzielle Notlagen. Einige berichten, dass sie mehr Stunden arbeiten oder gefährlichere Dienstleistungen anbieten müssen, um über die Runden zu kommen.

2. Sozial- und Gesundheitsrisiken

Die Studie zeigt, dass das Gesetz die soziale und gesundheitliche Situation vieler Sexarbeiter*innen verschlechtert hat:

  • Erhöhte Armut: Viele Befragte gaben an, dass sie ihre Grundbedürfnisse, wie Miete oder Nahrung, kaum noch decken können.

  • Psychische Belastung: Stress, Angstzustände und Depressionen haben unter Sexarbeiter*innen zugenommen.

  • Schwierigkeiten bei der Gesundheitsversorgung: Durch die größere Isolation und die Angst vor polizeilichen Maßnahmen meiden viele Sexarbeiter*innen medizinische Einrichtungen.

  • Erhöhtes Risiko von HIV und sexuell übertragbaren Krankheiten: Die Unsicherheit zwingt einige Sexarbeiter*innen, ungeschützten Geschlechtsverkehr zu akzeptieren.

3. Kritik am Ausstiegsprogramm

Das Gesetz sieht vor, dass Sexarbeiter*innen, die aus der Prostitution aussteigen möchten, finanzielle und soziale Unterstützung erhalten. Die Studie zeigt jedoch erhebliche Mängel in der Umsetzung:

  • Fehlendes Interesse: Viele Sexarbeiter*innen wissen nicht einmal, dass dieses Programm existiert. Von denen, die es kennen, haben nur wenige Interesse daran.

  • Unrealistische Bedingungen: Um Unterstützung zu erhalten, müssen die Antragsteller*innen nachweisen, dass sie vollständig mit der Sexarbeit aufgehört haben. Dies ist für viele, die keine finanziellen Alternativen haben, nicht realistisch.

  • Unzureichende finanzielle Hilfe: Die finanzielle Unterstützung ist oft nicht ausreichend, um die Lebenshaltungskosten zu decken.

  • Bürokratische Hürden: Viele Sexarbeiterinnen, insbesondere Migrantinnen, haben Schwierigkeiten, die notwendigen Dokumente für das Programm zu erhalten.

4. Stigmatisierung und soziale Kontrolle

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist, dass das Gesetz auf einer moralischen Vorstellung von Sexarbeit als grundsätzlich negativ beruht. Es kriminalisiert nicht nur Freier, sondern erhöht auch den sozialen Druck auf Sexarbeiter*innen. Viele der Befragten empfinden die Maßnahmen als bevormundend und stigmatisierend.

Einige Organisationen kritisieren, dass das Gesetz in Wirklichkeit keine Wahlfreiheit für Sexarbeiter*innen schafft, sondern sie in eine Zwangslage bringt: Entweder sie nehmen am Ausstiegsprogramm teil und unterwerfen sich den Bedingungen, oder sie arbeiten weiter unter zunehmend gefährlichen Bedingungen.

Diskussion und Schlussfolgerungen

Die Studie zeigt deutlich, dass das Gesetz von 2016 in der Praxis nicht die gewünschten Schutzmechanismen für Sexarbeiter*innen geschaffen hat, sondern ihre Situation verschlechtert. Die Kriminalisierung der Freier hat zu einem Anstieg von Unsicherheit, Gewalt und sozialer Isolation geführt, ohne dass Alternativen für die Betroffenen geschaffen wurden. Das Ausstiegsprogramm wird von den meisten nicht als praktikable Lösung angesehen, da es unzureichend finanziert ist und unrealistische Anforderungen stellt.

Die Autoren der Studie fordern daher eine Neubewertung der Gesetzgebung. Sie empfehlen einen stärker menschenrechtsorientierten Ansatz, der Sexarbeiter*innen nicht kriminalisiert oder bevormundet, sondern ihnen echte Alternativen und bessere Arbeitsbedingungen bietet. Dazu gehören unter anderem:

  • Die Entkriminalisierung von Sexarbeit, um bessere Arbeitsbedingungen und Sicherheit für Sexarbeiter*innen zu gewährleisten.

  • Ein verbesserter Zugang zu Gesundheitsdiensten und sozialer Unterstützung ohne diskriminierende Bedingungen.

  • Finanzielle und berufliche Alternativen für diejenigen, die aus der Sexarbeit aussteigen möchten.

Fazit

Das französische Prostitutionsgesetz von 2016 hat die Situation von Sexarbeiterinnen in vielerlei Hinsicht verschlechtert. Anstatt Schutz und Unterstützung zu bieten, hat es sie verwundbarer gegenüber Gewalt, Armut und sozialer Ausgrenzung gemacht. Die Studie zeigt, dass eine Politik, die auf Repression basiert, nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt und fordert eine stärkere Berücksichtigung der Rechte und Bedürfnisse von Sexarbeiterinnen in zukünftigen Gesetzgebungen.

Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.