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Sexarbeit als therapeutische Hilfe

Ende des letzten Jahres kam ich aus einer langjährigen Beziehung mit einer asexuellen Partnerin. Nein, das ist keine Beschreibung aus Wut, sondern es war tatsächlich unser Beziehungsmodell. Trotz einer tiefen Liebe und Verbundenheit sorgten die Themen Sex und Erotik regelmäßig für Frust und Traurigkeit auf beiden Seiten. Wir lösten diese Konflikte über die Jahre mit Kompromissen. Ich reduzierte das Ausleben meines Verlangens drastisch und sie kam mir mit liebevollen „Gefallen“ entgegen. Leider entwickelte sich das Thema in den letzten zwei Jahren zu einem alltagsbestimmenden Problem. Sie wollte nicht mehr als erotisch und anziehend wahrgenommen werden, was mir aber unglaublich schwerfiel. Erotik durfte für sie und mich absolut kein Thema mehr sein. Somit entschieden wir uns, auseinander zu gehen, auch wenn es wie ein Klischee klingt, es wegen Sex zu tun. Der Leidensdruck von uns Beiden war zu groß.

Warum teile ich das überhaupt mit?

Neben dem kaum auszuhaltenden Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen wurde mir auch bewusst, dass ich über viele Jahre mein Sexleben und meine erotischen Bedürfnisse habe verkümmern lassen. Ich hatte Sehnsucht nach Körperlichkeit, nach Lust und wünschte mir ein genießendes Gegenüber. Aber was wollte ich genau? Ich war mir sehr unsicher, ob ich „funktionieren“ kann, wenn es darauf ankäme. Mein Körper war „trainiert“ auf schnelle Befriedigung. Was ich aber wollte, war Erotik, den Wiedereinstieg in ein erfülltes Sexualleben, Berührungen wieder genießen, die aus Lust und nicht aus Kompromissen geschenkt werden. Ich wollte erleben, wie mein Handeln Erregung hervorruft. Streicheln, Verwöhnen, Riechen, Schmecken und sich verlieren. Aber ich hatte Angst mich einem Erwartungsdruck auszusetzen. Wer hat schon bei einem romantischen Treffen die Geduld, die Sexualität des Gegenübers erst einmal zu heilen bevor man Spaß haben kann?

Was macht ma(n)n nun? Lächerlich bei diesem „Problemchen“ an eine Therapie zu denken. Den Leidensdruck weiter zu ignorieren, kam für mich aber auch nicht in Frage. Frustriert und ein wenig aus Spaß informierte ich mich über Escort-Agenturen und entdeckte schnell unabhängige Escort-Dienstleistende. Wirklich? Sexarbeit? Prostitution? Das macht man nicht. Menschen, die das nutzen, müssen ja sehr verzweifelt sein. Aber je mehr ich las, umso bewusster wurde mir, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern spannende Abstufungen, in denen ich mich auch wiederfinden konnte.

Ich stieß auf eine Person, die meine Restzweifel verschwinden ließ. Ihre Präsentation war stil- und niveauvoll. Sie vermittelte mir eine Balance aus sinnlicher Erotik und entspannter Atmosphäre. Ich verfasste eine lange Mail, in der ich meine Situation erklärte, schickte diese ab und schämte mich in Grund und Boden. Hatte ich gerade wirklich einer fremden Person meine intimsten Probleme und Wünsche mitgeteilt?

Noch am gleichen Abend erhielt ich von ihr eine Antwort. Ihre Nachricht war verständnisvoll und ich fühlte mich ernstgenommen. Erleichterung! Nach einem Telefonat am nächsten Tag, in dem ich kurz einen mir sehr sympathischen Menschen kennenlernen durfte, setzten wir einen Termin für ein erstes Treffen an.
Zwei Wochen später wartete ich mit eiskalten Händen in einem Museumfoyer auf ihre Ankunft. Als sie auf mich zuging, begrüßten wir uns herzlich und tranken Kaffee zusammen, den ich mit zitternden Händen zum Mund führte. Sie machte dies sofort zum Thema und beruhigte mich fürsorglich. Unsere Unterhaltung vermittelte mir ein Gefühl von Sicherheit und gegenseitiger Sympathie. So folgte ich ihr durch die Stadt in ihre geschmackvolle Kundenwohnung.

Nach der gebuchten Zeit verließ ich diese Wohnung mit einem Glücksgefühl in meiner Brust. Es war eine wundervolle erste Erfahrung, die ich genießen durfte. Sie war einfühlsam, verständnisvoll und nahbar. Sie schenkte mir Momente des lustvollen Gebens und genussvollen Empfangens.

Das zweite Treffen, ein Overnight-Date in einer geschmackvollen Ferienwohnung, ließ mich mehr Vertrauen aufbauen und es war genug Zeit vorhanden, verdrängte Bedürfnisse neu zu entdecken und diese auch auszuleben. Dafür bin ich ihr sehr dankbar.

Wir hatten bis heute noch weitere Treffen, die ich alle sehr genossen habe. Ich fühle mich nun selbstsicherer und kann meine Sexualität wieder vollständig ausleben.
Zum Schluss ist mir wichtig zu erwähnen, dass ich mir durchaus über die Grenzen der Geschäftsbeziehung zwischen uns bewusst bin. Eines der wertvollsten Dinge, die ein Mensch einem anderen geben kann, ist die eigene Zeit. Diese mir gewidmete Zeit mit den in ihr erbrachten körperlichen, psychischen und emotionalen Leistungen muss auch entsprechend entlohnt werden. Akzeptiert man dies, kann es auch eine innige und vertraute Verbindung zwischen Kunden und Dienstleistenden geben, die für beide Seiten positiv ist. Mir hat diese Verbindung geholfen und ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Daher bin ich sehr froh über die Möglichkeit, meinen Weg der Selbstfindung mit Hilfe einer Sexarbeiterin gehen zu können. Keine „konservative“ Behandlung hätte mir in der ausgeübten Praxis auf einer so intimen Ebene helfen können. Für mich ist Sexarbeit Therapie und Genuss gleichzeitig.