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Einführung

Sexarbeit ist weltweit ein umstrittenes Thema, das von kulturellen, politischen und sozialen Faktoren beeinflusst wird. Diese Unterschiede führen zu einer Vielzahl regulatorischer Modelle, die von vollständiger Kriminalisierung bis hin zur vollständigen Entkriminalisierung reichen. Sexarbeiter*innen gehören zu einer vulnerablen Bevölkerungsgruppe mit einem erhöhten Risiko für gesundheitliche Probleme, einschließlich psychischer Störungen, sexuell übertragbarer Infektionen (STIs), Substanzmissbrauch und Gewalt. Zusätzlich werden sie oft mit Stigmatisierung und Diskriminierung konfrontiert, die ihre Lebensqualität und ihren Zugang zu Gesundheitsdiensten erheblich beeinträchtigen.

Ziel dieser systematischen Übersicht war es, die gesundheitlichen Auswirkungen unterschiedlicher rechtlicher Rahmenbedingungen für Sexarbeiter*innen in einkommensstarken Ländern zu untersuchen. Die Autoren wollten feststellen, wie regulatorische Modelle die Gesundheitszustände, die Nutzung von Gesundheitsdiensten, das Risiko von Gewalt und die Erfahrungen mit Stigmatisierung beeinflussen.

Methodik

Die Studie wurde gemäß den PRISMA-Richtlinien (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses) durchgeführt und in der PROSPERO-Datenbank registriert. Die Literaturrecherche umfasste acht wissenschaftliche Datenbanken (z. B. PubMed, ProQuest, Scopus) und konzentrierte sich auf Studien, die zwischen 1978 und 2019 veröffentlicht wurden. Berücksichtigt wurden ausschließlich quantitative Studien aus einkommensstarken Ländern, die sich auf erwachsene Sexarbeiter*innen (über 18 Jahre) bezogen.

Die Einschlusskriterien definierten einkommensstarke Länder basierend auf der Weltbankdefinition (Bruttonationaleinkommen von mindestens 12.056 USD pro Kopf). Studien, die sich mit Kinderprostitution, Menschenhandel oder nicht eindeutiger Zustimmung zur Sexarbeit beschäftigten, wurden ausgeschlossen. Aufgrund der Auswirkungen der HIV-Epidemie in den 1980er Jahren wurde der Beginn der Analyse auf das Jahr 1978 festgelegt.

Von den 95 einbezogenen Studien wurden Daten zu folgenden Aspekten extrahiert:

  • Gesetzliche Rahmenbedingungen

  • Demografische Daten der Teilnehmer

  • Gesundheitliche Ergebnisse (z. B. STIs, Gewalt, psychische Gesundheit)

  • Nutzung und Zugang zu Gesundheitsdiensten

  • Methodik der Studien (z. B. Studiendesign, Rekrutierungsstrategien)

Ergebnisse

Regulatorische Modelle

Die untersuchten Studien deckten verschiedene regulatorische Ansätze ab:

  1. Kriminalisierung: Alle Aspekte der Sexarbeit sind verboten (z. B. USA, Südkorea).

  2. Teilkriminalisierung: Bestimmte Aspekte, wie das Betreiben von Bordellen oder die Involvierung Dritter, sind illegal (z. B. viele europäische Länder).

  3. Nordisches Modell: Der Kauf sexueller Dienstleistungen ist illegal, während deren Verkauf legal bleibt (z. B. Schweden, Kanada seit 2014).

  4. Legalisierung: Sexarbeit ist reguliert und unter bestimmten Bedingungen legal (z. B. Niederlande, Schweiz, Teile Australiens).

  5. Entkriminalisierung: Sexarbeit wird vollständig entkriminalisiert, wobei keine Strafgesetze für Sexarbeiter*innen oder Kunden bestehen (z. B. Neuseeland, einige Bundesstaaten Australiens).

Gesundheitliche Ergebnisse nach Regulierungsmodell

  1. Kriminalisierte und teilkriminalisierte Systeme:

    • Höheres Risiko für sexuell übertragbare Infektionen (z. B. HIV, Gonorrhö).

    • Geringere Nutzung von Gesundheitsdiensten, oft durch Angst vor Strafverfolgung oder Stigmatisierung.

    • Höhere Raten von Substanzmissbrauch und Gewalt.

    • Sexarbeiter*innen berichteten über mangelnden Zugang zu Kondomen, da diese in einigen Ländern als Beweismittel für illegale Aktivitäten dienen können.

    • Höhere psychische Belastung, einschließlich Depression und sozialer Isolation.

  2. Legalisierte Systeme:

    • Verbesserter Zugang zu Gesundheitsdiensten und Gesundheitsförderungsprogrammen.

    • Geringere Prävalenz von STIs und konsistentere Nutzung von Kondomen.

    • Gesetzliche Regulierung führte oft zu regelmäßigen Gesundheitschecks und einem besseren Bewusstsein für Gesundheitsrisiken.

    • Einige Studien kritisierten jedoch verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen als stigmatisierend und ineffektiv.

  3. Entkriminalisierte Systeme:

    • Sexarbeiter*innen zeigten die besten gesundheitlichen Ergebnisse, einschließlich höherer Nutzung von Gesundheitsdiensten und besserer psychischer Gesundheit.

    • Deutlich geringere Raten von Gewalt und Substanzmissbrauch.

    • Studien aus Australien und Neuseeland zeigten, dass die Entkriminalisierung auch zu einer finanziellen Entlastung des Strafrechtssystems führte.

  4. Nordisches Modell:

    • Ein in Kanada durchgeführtes Beispiel zeigte, dass die Kriminalisierung der Kunden zu einer Verlagerung der Sexarbeit in unsichere Bereiche führte.

    • Dies erschwerte es Sexarbeiter*innen, mit Kunden über sichere Praktiken zu verhandeln, und erhöhte das Risiko von Gewalt.

Psychische Gesundheit und Gewalt

Psychische Gesundheitsprobleme wie Depressionen und soziale Isolation waren in kriminalisierten Systemen besonders ausgeprägt. Gewalt, sowohl physisch als auch sexuell, wurde häufig in diesen Umgebungen berichtet. Teilkriminalisierte Systeme trugen oft dazu bei, dass Sexarbeiter*innen in prekären Lebensumständen arbeiteten, was das Risiko für Gewalt weiter erhöhte.

Substanzmissbrauch

In kriminalisierten Umgebungen war der Konsum von Drogen und Alkohol besonders hoch. Diese Probleme standen in engem Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen und schlechteren gesundheitlichen Ergebnissen. In entkriminalisierten Systemen, wie in New South Wales (Australien), wurde ein Rückgang des Drogenkonsums verzeichnet.

Nutzung von Gesundheitsdiensten

Sexarbeiter*innen in entkriminalisierten und legalisierten Kontexten nutzten Gesundheitsdienste häufiger. Freiwillige Tests auf STIs wurden bevorzugt gegenüber verpflichtenden Testverfahren, die in manchen Ländern vorgeschrieben waren.

Stigmatisierung und Diskriminierung

Unabhängig vom regulatorischen Modell berichteten Sexarbeiter*innen weltweit über Stigmatisierung und Diskriminierung. Diese Erfahrungen beeinträchtigten den Zugang zu Gesundheitsdiensten erheblich. In entkriminalisierten Kontexten wurde jedoch ein allmählicher Rückgang der Diskriminierung festgestellt, was zu einer besseren Akzeptanz der Sexarbeit in der Gesellschaft beitrug.

Diskussion

Die Ergebnisse der Übersicht verdeutlichen, dass die Kriminalisierung der Sexarbeit mit schlechteren gesundheitlichen und sozialen Ergebnissen verbunden ist. Dagegen haben Legalisierung und insbesondere Entkriminalisierung nachweislich positive Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiter*innen.

Die Entkriminalisierung hat sich als der effektivste Ansatz erwiesen, um den Zugang zu Gesundheitsdiensten zu verbessern, Gewalt zu reduzieren und die psychische Gesundheit zu fördern. Dennoch bleibt Stigmatisierung ein Problem, das selbst in legalisierten und entkriminalisierten Kontexten bestehen bleibt. Dies deutet darauf hin, dass gesellschaftliche Einstellungen nur langsam auf gesetzliche Änderungen reagieren.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis ist die Notwendigkeit, Sexarbeiter*innen aktiv in Forschung und politische Entscheidungsprozesse einzubinden. Peer-basierte Ansätze und Unterstützungsnetzwerke haben sich als besonders effektiv erwiesen, um die Gesundheit und das Wohlbefinden von Sexarbeiter*innen zu fördern.

Fazit

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine Entkriminalisierung der Sexarbeit die beste Grundlage bietet, um die Gesundheit, Sicherheit und soziale Integration von Sexarbeiter*innen zu fördern. Politische Entscheidungsträger werden aufgefordert, diese Ansätze umzusetzen und gleichzeitig Maßnahmen zur Bekämpfung von Stigmatisierung und Diskriminierung zu fördern. Es besteht zudem ein Bedarf an weiterer, qualitativ hochwertiger Forschung, um die langfristigen Auswirkungen verschiedener regulatorischer Modelle besser zu verstehen.

Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.