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Die 2014 erschienene Studie „Sweden’s abolitionist discourse and law: Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden’s sex workers“ von Jay Levy und Pye Jakobsson beschäftigt sich mit der schwedischen Gesetzgebung zum Kauf sexueller Dienstleistungen („sexköpslagen“) und deren Auswirkungen auf die Dynamik der Prostitution sowie auf das Leben von Sexarbeiterinnen in Schweden.

1. Hintergrund: Der schwedische abolitionistische Ansatz

1999 führte Schweden das sogenannte „Sexköpslagen“ ein, das den Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisierte, während der Verkauf entkriminalisiert wurde. Die Gesetzesinitiative war von einem radikalfeministischen Diskurs geprägt, der Prostitution als eine Form männlicher Gewalt gegen Frauen definierte. Diese Sichtweise geht davon aus, dass Prostitution per se Ausdruck von patriarchaler Unterdrückung sei und dass eine echte Gleichstellung der Geschlechter nur möglich sei, wenn Prostitution abgeschafft wird.

Eine alternative, liberalere Auffassung, die Sexarbeit als mögliche Form legitimer Arbeit ansieht, kam in der öffentlichen und politischen Debatte kaum zu Wort. Insbesondere die Stimmen der Sexarbeiter*innen selbst wurden marginalisiert oder ignoriert, obwohl offiziell behauptet wurde, sie in die Debatte einzubeziehen. Kritische Beiträge, die ein differenziertes Bild von Sexarbeit zu zeichnen versuchten, fanden kaum Beachtung. Die politische Ausrichtung des Gesetzes und die nachfolgende Evaluierung waren daher von vornherein ideologisch stark vorgeprägt und nicht ergebnisoffen gestaltet.

2. Methoden

Die Studie basiert sowohl auf eigener Forschung als auch auf der Auswertung bestehender Literatur. Jay Levy führte ethnografische Feldforschung in Schweden zwischen 2008 und 2012 durch. Interviewpartnerinnen waren Sexarbeiterinnen, Kunden, Sozialarbeiterinnen, NGO-Mitarbeiterinnen sowie Vertreter*innen von Behörden.

Pye Jakobsson ergänzte diese qualitative Basis durch eine internetgestützte Umfrage unter 124 aktuellen und ehemaligen Sexarbeiter*innen in Schweden. Die Umfrage zielte insbesondere auf die Erfahrungen mit HIV-Prävention und Schadensminderung. Beide Autoren betonen die Schwierigkeit, repräsentative Aussagen über eine weitgehend versteckte und stigmatisierte Gruppe zu treffen, weshalb die Resultate mit der gebotenen Vorsicht zu interpretieren sind. Trotzdem zeigen die Ergebnisse klare Trends bezüglich der Auswirkungen des schwedischen Gesetzes.

3. Prostitution in Schweden

a) Ebenen der Sexarbeit

Eines der erklärten Ziele des Sexköpslagen war es, die Anzahl von Menschen in der Sexarbeit zu verringern. Doch eine genaue Überprüfung zeigt, dass es keine verlässlichen Belege für einen nachhaltigen Rückgang der Prostitution in Schweden gibt. Während ein kurzfristiger Rückgang der Straßenprostitution nach der Einführung des Gesetzes festgestellt wurde, sind sich Forschende uneinig, ob dieser Effekt langfristig Bestand hatte.

In Bezug auf die weniger sichtbare Indoor- und Online-Sexarbeit gibt es keinerlei Anhaltspunkte für eine Verringerung. Es wird vielmehr angenommen, dass sich ein Großteil der Tätigkeit in private und schwer kontrollierbare Bereiche verlagert hat. Die offizielle Schätzung von ca. 2500 Sexarbeiter*innen ist seit Jahren nahezu unverändert, wobei betont werden muss, dass diese Zahl aufgrund der versteckten Natur der Branche höchst ungenau ist. Die schwedischen Behörden selbst räumen ein, dass es nicht möglich sei, eindeutige Aussagen über Zu- oder Abnahmen im Bereich der Prostitution zu treffen.

Die gesetzliche Fokussierung auf die Reduktion der Nachfrage hat daher das erklärte Ziel verfehlt, was internationale Vergleiche zusätzlich untermauern: Auch in anderen Ländern zeigen kriminalisierende Maßnahmen gegen Kunden keine nachhaltigen Rückgänge bei der Prostitution.

b) Erhöhte Gefahren und Schwierigkeiten in der Sexarbeit

Ein besonders gravierender Befund ist, dass die Kriminalisierung der Kunden neue Risiken für Sexarbeiterinnen geschaffen hat. Da Freier aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung zunehmend vorsichtig agieren, werden Treffen rascher und heimlicher arrangiert. Dadurch haben Sexarbeiterinnen weniger Zeit, potenzielle Kunden einzuschätzen oder Verhandlungen über Bedingungen und Sicherheit durchzuführen. Dies erhöht die Gefahr von Gewaltübergriffen erheblich.

Einige Interviewpartnerinnen berichteten, dass sie innerhalb von Sekunden entscheiden müssten, ob sie zu einem Kunden ins Auto steigen – oft ohne Möglichkeit zur Risikoabschätzung. Zudem führten weniger Kunden auf der Straße zu verschärftem Wettbewerb unter Sexarbeiterinnen, was die Preise drückte und zu aggressiverem Verhalten untereinander führte. Manche Sexarbeiter*innen sahen sich gezwungen, riskantere Dienstleistungen anzubieten, um überhaupt noch Einkommen zu erzielen.

Besonders betroffen sind die ohnehin vulnerabelsten Gruppen: sogenannte „Survival Sex Workers“, die unter prekären Umständen leben und kaum Alternativen zur Sexarbeit haben. Das Gesetz hat somit eine ohnehin marginalisierte Gruppe noch weiter ins Risiko gedrängt.

4. Auswirkungen auf Unterstützungsdienste

Die Umsetzung des Sexköpslagen hat auch negative Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Unterstützungs- und Präventionsdiensten. Maßnahmen zur Schadensminderung – wie die Verteilung von Kondomen, Sicherheitstrainings oder Rape-Alarms – werden von vielen staatlichen Stellen nicht nur vernachlässigt, sondern aktiv abgelehnt.

Offizielle Stellen wie die Stockholmer Prostitutionseinheit betrachten solche Angebote als „förderlich für die Prostitution“ und damit als unvereinbar mit dem abolitionistischen Staatsziel. Während einzelne lokale Initiativen (etwa die Malmöer Prostitutionseinheit) schadenreduzierende Maßnahmen eingeführt haben, wurden diese auf nationaler Ebene zurückgedrängt. Versuche, Kondome an Kunden zu verteilen, lösten sogar landesweite Skandale aus.

Die Umfrage von Jakobsson zeigte, dass die Mehrheit der befragten Sexarbeiterinnen noch nie durch offizielle Stellen Kondome erhalten hatte. Informationsmaterial zu sicherem Arbeiten war kaum verfügbar. Dies bedeutet, dass Sexarbeiterinnen auf unsichere Quellen zurückgreifen oder sich Wissen über gefährliche Erfahrungen selbst aneignen mussten.

Hinzu kommt, dass Sexarbeiterinnen, die Dienstleistungen in Anspruch nehmen wollten, oft gezwungen wurden, sich als Opfer darzustellen. Nur wer Leidensnarrative präsentierte, erhielt Zugang zu Hilfen – wer seine Arbeit als selbstbestimmt beschrieb, wurde oft ignoriert. Diese Form der Diskriminierung verstärkte das Stigma gegenüber Sexarbeiterinnen erheblich.

5. Weitere Gesetze und politische Maßnahmen

Obwohl offiziell nur die Freier kriminalisiert werden, zeigte die Studie, dass auch Sexarbeiter*innen direkt von repressiven Maßnahmen betroffen sind:

  • Wohnungsverlust: Sexarbeiter*innen wurden an ihre Vermieter gemeldet und verloren daraufhin ihre Wohnung, da die Bereitstellung von Räumlichkeiten für Sexarbeit illegal ist.

  • Sorgerechtsverluste: Einige Sexarbeiter*innen verloren das Sorgerecht für ihre Kinder, weil ihre Tätigkeit als unvereinbar mit „guter Elternschaft“ angesehen wurde – selbst dann, wenn der andere Elternteil gewalttätig war.

  • Abschiebungen: Migrantische Sexarbeiter*innen wurden unter dem Vorwurf, „unehrlich“ ihren Lebensunterhalt zu verdienen, abgeschoben.

  • Polizeiliche Belästigungen: Fälle, in denen die Polizei Sexarbeiter*innen zu Hause aufsuchte, sie einschüchterte oder ihre Kunden bedrohte, sind dokumentiert.

Diese Maßnahmen widersprechen dem offiziellen Narrativ, dass Sexarbeiter*innen vor staatlicher Repression geschützt seien. Stattdessen wird deutlich, dass das Gesetz neue Formen der staatlichen Kontrolle und Diskriminierung geschaffen hat.

6. Fazit

Levy und Jakobsson ziehen ein vernichtendes Fazit: Der schwedische Ansatz hat weder die Prostitution reduziert noch die Situation von Sexarbeiterinnen verbessert. Stattdessen hat er neue Gefahren geschaffen, soziale Ausgrenzung verschärft und die Rechte und Lebensrealitäten von Sexarbeiterinnen systematisch untergraben.

Trotz dieser erheblichen negativen Effekte wird das schwedische Modell international als „Erfolgsmodell“ exportiert. Länder wie Norwegen und Island haben ähnliche Gesetze übernommen, weitere europäische Staaten diskutieren entsprechende Regelungen. Diese Internationalisierung erfolgt allerdings unter Missachtung der realen Auswirkungen auf die betroffenen Menschen.

Die Autoren fordern eine Abkehr von ideologisch aufgeladenen, moralisierenden Gesetzgebungen hin zu einer Politik, die die Perspektiven und Bedürfnisse der Sexarbeiterinnen respektiert und deren Rechte schützt. Ein echter Wandel könne nur erreicht werden, wenn Sexarbeiterinnen nicht länger marginalisiert, sondern aktiv in politische Prozesse einbezogen werden.

Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.