Die 2014 erschienene Studie „A Decade of Decriminalization: Sex Work ‚Down Under‘ but Not Underground“ von Gillian M. Abel analysiert die Auswirkungen der Entkriminalisierung von Sexarbeit in Neuseeland und gibt eine umfassende Darstellung der Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge dieser Politik. Die Entkriminalisierung erfolgte 2003 durch den Prostitution Reform Act (PRA) und stellt
einen bahnbrechenden Ansatz dar, Sexarbeit als Beruf anzuerkennen und Rechte der
Sexarbeiter*innen zu schützen. Die Studie bietet eine retrospektive Analyse über die vergangenen
zehn Jahre seit Einführung des Gesetzes und unterteilt sich in mehrere zentrale Themenbereiche,
darunter der politische Prozess, die Umsetzung des PRA, die Auswirkungen auf die Gesellschaft
und die internationale Relevanz dieses Modells.
Ausgangslage vor der Entkriminalisierung
Vor der Einführung des PRA war die Sexarbeit in Neuseeland nicht vollständig kriminalisiert, doch
Tätigkeiten wie das Anwerben von Kundschaft, das Betreiben eines Bordells oder das Leben von
den Einkünften der Sexarbeit waren strafbar. Diese gesetzlichen Einschränkungen führten dazu,
dass Sexarbeiterinnen in einem rechtlichen Graubereich agieren mussten, was sie besonders anfällig
für Ausbeutung, Gewalt und mangelnde arbeitsrechtliche Absicherung machte. Studien aus dieser
Zeit belegten die häufigen Gefahren und Verletzungen der Menschenrechte, denen Sexarbeiterinnen
ausgesetzt waren.
Die Entkriminalisierung zielte darauf ab, die Arbeitssituation sicherer zu machen, die Rechte der
Sexarbeiter*innen zu stärken und ihnen dieselben arbeitsrechtlichen und menschenrechtlichen
Standards zu bieten wie anderen Berufen. Ein wesentlicher Bestandteil dieses Ansatzes war die
Umdeutung von Sexarbeit als Dienstleistungssektor, was auch eine Entstigmatisierung und eine
stärkere gesellschaftliche Anerkennung zur Folge hatte.
Der Weg zur Entkriminalisierung
Die Einführung des PRA war das Ergebnis intensiver Bemühungen von Aktivistinnen, insbesondere
der New Zealand Prostitutes’ Collective (NZPC). Diese Organisation, die von Sexarbeiterinnen
selbst geleitet wird, spielte eine Schlüsselrolle im politischen Prozess. Sie nutzte eine
Argumentationslinie, die sich auf öffentliche Gesundheit und Menschenrechte konzentrierte und
moralische Diskurse weitgehend vermied. Dabei wurden enge Beziehungen zu
Wissenschaftler*innen aufgebaut, um die Forderungen durch evidenzbasierte Forschung zu
untermauern.
Die Entkriminalisierung stieß auf Widerstand, vor allem von christlich-fundamentalistischen
Gruppen und einem Teil feministischer Aktivist*innen, die Sexarbeit als Ausdruck von
Geschlechterungleichheit betrachteten. Trotz dieser Opposition wurde das Gesetz nach mehreren
Abstimmungen im neuseeländischen Parlament 2003 mit knapper Mehrheit verabschiedet.
Umsetzung und Auswirkungen des PRA
Die Implementierung des PRA war größtenteils von zentraler Kontrolle geprägt, wobei lokale
Behörden begrenzte Befugnisse erhielten, beispielsweise zur Regulierung von Bordellen durch
Beschränkungen in Bezug auf Standorte und Werbemaßnahmen. Die Praxis zeigte jedoch, dass
einige dieser Beschränkungen nicht immer im Sinne des Gesetzes umgesetzt wurden.
Beispielsweise versuchten lokale Behörden, kleine privat geführte Bordelle in zentrale Geschäftsviertel zu verlegen, was zu neuen Herausforderungen für die betroffenen Sexarbeiter*innen führte.
Ein zentraler Erfolg des PRA war die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Stärkung der
Rechte der Sexarbeiterinnen. Sie erhielten die Möglichkeit, ihre Arbeit sicherer auszuführen,
Kunden abzulehnen und rechtliche Schritte gegen Missbrauch einzuleiten. Zahlreiche
Gerichtsverfahren, in denen etwa Gewalt oder erzwungene sexuelle Handlungen angeklagt wurden,
zeigen, dass Sexarbeiterinnen zunehmend Vertrauen in das Rechtssystem gewinnen.
Die Studie hebt hervor, dass der PRA nicht nur die Sicherheit der Sexarbeiter*innen verbessert hat,
sondern auch die Beziehungen zur Polizei verändert wurden. Vor der Entkriminalisierung wurden
Polizeipatrouillen oft als Bedrohung wahrgenommen, während sie nun als Schutzmechanismus
angesehen werden. Auch gesundheitliche Aspekte wurden durch die gesetzliche Pflicht zur
Verwendung von Schutzmaßnahmen wie Kondomen gestärkt.
Herausforderungen und Einschränkungen
Obwohl die Entkriminalisierung viele positive Veränderungen gebracht hat, gibt es weiterhin
Herausforderungen. Insbesondere Straßenprostitution bleibt ein umstrittenes Thema. Einige lokale
Behörden haben versucht, durch spezifische Gesetze Straßenprostitution einzuschränken, was
jedoch die Sicherheit und Rechte der betroffenen Arbeiterinnen gefährdet. Kritikerinnen befürchten,
dass solche Maßnahmen dazu führen könnten, dass diese Menschen in gefährlichere, isolierte
Gebiete abgedrängt werden, was im Widerspruch zu den Zielen des PRA steht.
Ein weiteres Problem ist die anhaltende gesellschaftliche Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen,
die trotz der rechtlichen Anerkennung weiterhin als „abweichend“ betrachtet werden. Dieses soziale
Stigma beeinflusst sowohl die öffentliche Wahrnehmung als auch die Bereitschaft, den Beruf
vollständig zu akzeptieren.
Internationale Relevanz und Übertragbarkeit
Die Studie betont, dass das neuseeländische Modell nicht eins zu eins auf andere Länder
übertragbar ist, da es stark von den spezifischen gesellschaftlichen, politischen und geografischen
Gegebenheiten Neuseelands geprägt ist. Dennoch könnten andere Länder von den Erfahrungen
Neuseelands lernen, insbesondere was den partizipativen Ansatz bei der Gesetzgebung und die
Betonung von Menschenrechten und öffentlicher Gesundheit betrifft.
Die internationale Rezeption des neuseeländischen Modells ist bislang begrenzt, obwohl es von
einigen Ländern wie Kanada und Australien als potenzielles Vorbild betrachtet wurde. In Europa
bleibt die Debatte oft in moralischen Argumentationen verhaftet, was eine konstruktive Diskussion
über die Regulierung von Sexarbeit erschwert.
Fazit
Die Entkriminalisierung von Sexarbeit in Neuseeland hat in den vergangenen zehn Jahren
zahlreiche positive Veränderungen bewirkt. Die Studie von Gillian M. Abel zeigt auf, dass die
rechtliche Anerkennung von Sexarbeit nicht nur die Sicherheit und Rechte der Betroffenen stärkt,
sondern auch die gesellschaftliche Haltung gegenüber diesem Beruf verändert hat. Dennoch gibt es
weiterhin Herausforderungen, insbesondere im Umgang mit Straßenprostitution und der
Überwindung gesellschaftlicher Vorurteile. Neuseeland hat gezeigt, dass ein
menschenrechtsbasierter Ansatz die Grundlage für eine effektive Regulierung von Sexarbeit bilden
kann, der die Würde und Sicherheit der Betroffenen in den Vordergrund stellt.
Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.