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Die Studie „The impact of end-demand legislation on sex workers’ access to health and sex workerled
services: A community-based prospective cohort study in Canada“ von Elena Argento et al.
untersucht die Auswirkungen des kanadischen Gesetzes Protection of Communities and Exploited
Persons Act (PCEPA) auf den Zugang von Sexarbeiterinnen zu Gesundheitsdiensten,
Gewaltprävention und sexarbeitergeführten Unterstützungsangeboten. Die Forschung basiert auf
einer prospektiven Kohortenstudie mit etwa 900 cis- und transgeschlechtlichen Sexarbeiterinnen in
Vancouver, Kanada. Die Studie ist eine der ersten weltweit, die die Folgen eines „End-Demand-
Ansatzes“ (Sexkaufverbot) auf die Lebensrealität von Sexarbeiterinnen untersucht.

Hintergrund

Die Kriminalisierung der Sexarbeit und darauf basierende strafrechtliche Maßnahmen haben
weltweit schwerwiegende Auswirkungen auf die Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiterinnen.
Die Einführung des PCEPA im Jahr 2014 zielte darauf ab, die Nachfrage nach sexuellen
Dienstleistungen zu reduzieren, indem der Kauf und die Werbung für sexuelle Dienstleistungen
kriminalisiert wurden, während der Verkauf von Sex legal blieb. Befürworter dieser Gesetzgebung
argumentieren, dass dies den Ausstieg aus der Sexarbeit erleichtern und den Zugang zu
Unterstützungsdiensten verbessern würde. Kritiker hingegen befürchten, dass durch die
Kriminalisierung der Kunden die Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen unsicherer werden,
indem Transaktionen überstürzt durchgeführt werden müssen und weniger Möglichkeiten zur
Überprüfung potenzieller Kunden bestehen.

Methodik

Die Studie nutzt Daten der AESHA-Kohorte (An Evaluation of Sex Workers’ Health Access), einer
langfristigen Studie, die zwischen 2010 und 2017 durchgeführt wurde. Die teilnehmenden Frauen
wurden an verschiedenen Arbeitsorten (Straße, Innenräume, Online-Plattformen) rekrutiert und alle
sechs Monate befragt. Dabei wurden Informationen zu Gesundheitsversorgung, erlebter Gewalt,
Arbeitsbedingungen und Drogenkonsum erhoben.
Die Untersuchung vergleicht zwei Zeiträume:
– Vor PCEPA (2010–2013)
– Nach PCEPA (2015–2017)
(Das Jahr 2014 wurde ausgeschlossen, um Übergangseffekte zu vermeiden.)
Um den Einfluss der Gesetzesänderung auf den Zugang zu Gesundheits- und
Unterstützungsdiensten zu bewerten, wurden multivariable logistische Regressionsanalysen
durchgeführt.

Ergebnisse

1. Zugang zu Gesundheitsdiensten
Die Studie ergab, dass nach Einführung des PCEPA Sexarbeiterinnen signifikant weniger Zugang
zu Gesundheitsdiensten hatten, wenn sie diese benötigten. Die Wahrscheinlichkeit, medizinische
Versorgung in Anspruch zu nehmen, sank um 41 %. Dies steht im Widerspruch zu einem der
erklärten Ziele der Gesetzgebung, den Zugang zu Hilfsangeboten zu verbessern.

2. Zugang zu sexarbeitergeführten Unterstützungsdiensten
Auch die Nutzung von sexarbeitergeführten Gesundheits- und Unterstützungsangeboten nahm nach
Einführung des PCEPA ab. Dies deutet darauf hin, dass die Kriminalisierung der Nachfrage dazu
führte, dass Sexarbeiterinnen weniger mit diesen wichtigen Ressourcen in Kontakt kamen.

3. Unterstützung für Gewalt- und Traumaopfer
Entgegen den Erwartungen zeigte die Studie keine signifikante Veränderung beim Zugang zu
Beratungsangeboten für Gewalt- und Traumaopfer. Dies legt nahe, dass das Gesetz keinen positiven
Einfluss auf den Zugang zu Unterstützungsdiensten für betroffene Sexarbeiterinnen hatte.

Diskussion

Die Ergebnisse widersprechen dem Ziel des PCEPA, den Zugang zu Unterstützungsangeboten zu
verbessern und Sexarbeiterinnen zu schützen. Stattdessen zeigen die Daten, dass durch die
Kriminalisierung der Kunden Sexarbeiterinnen in unsicherere Situationen gedrängt wurden, indem
sie weniger Zeit für die Auswahl ihrer Kunden hatten und Transaktionen hastig abwickeln mussten.
Dies erhöhte ihr Risiko für Gewalt und schränkte ihren Zugang zu gesundheitlichen und sozialen
Unterstützungsdiensten ein.
Internationale Organisationen wie die WHO, UNAIDS und Amnesty International befürworten die
vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit als wirksame Maßnahme zur Förderung der
Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiterinnen. Die Studie von Argento et al. liefert weitere
Evidenz, dass Gesetze wie das PCEPA bestehende Risiken nicht mindern, sondern sogar verstärken
können.
Ein Vergleich mit anderen Ländern zeigt ähnliche Ergebnisse. In Frankreich beispielsweise wurde
nach Einführung einer End-Demand-Gesetzgebung (Sexkaufverbot) ebenfalls festgestellt, dass sich
die Arbeits- und Lebensbedingungen von Sexarbeiterinnen verschlechterten. In Neuseeland
hingegen führte die vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit zu verbesserten
Arbeitsbedingungen und besserem Zugang zu Gesundheitsdiensten.

Stärken und Limitationen der Studie

Ein zentraler Vorteil der Studie ist ihr prospektives Design mit wiederholten Messungen über einen
längeren Zeitraum, wodurch kausale Zusammenhänge besser identifiziert werden können. Zudem
wurde die Erhebung durch ein Team durchgeführt, das teilweise selbst aus ehemaligen oder
aktuellen Sexarbeiterinnen bestand, was die Vertrauenswürdigkeit der Antworten erhöhte.
Allerdings gibt es auch Einschränkungen:
– Die Daten sind selbstberichtete Informationen, was zu Verzerrungen durch
Erinnerungsfehler oder soziale Erwünschtheit führen könnte.
– Die Ergebnisse sind möglicherweise nicht vollständig auf andere Regionen übertragbar, da
die Untersuchung ausschließlich in Vancouver durchgeführt wurde.

Fazit und politische Implikationen

Die Studie zeigt, dass das PCEPA entgegen seiner erklärten Ziele den Zugang zu Gesundheits- und
Unterstützungsangeboten für Sexarbeiterinnen nicht verbessert, sondern verschlechtert hat. Die
Kriminalisierung der Kunden hat dazu geführt, dass Sexarbeiterinnen riskantere
Arbeitsbedingungen akzeptieren müssen und weniger Kontakt zu unterstützenden Organisationen
haben. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, politische Maßnahmen zu überdenken und
evidenzbasierte Ansätze zu verfolgen, die auf die vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit
abzielen.
Die Autoren warnen davor, End-Demand-Gesetzgebungen (Sexkaufverbot) in anderen Ländern zu
übernehmen, da diese nicht zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von
Sexarbeiterinnen beitragen. Stattdessen plädieren sie für eine Politik, die die Rechte und die
Selbstbestimmung von Sexarbeiterinnen respektiert und ihren Zugang zu Gesundheitsversorgung,
sozialer Unterstützung und rechtlichem Schutz gewährleistet.

Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.