Die Studie „Structural Barriers to Condom Access in a Community-Based Cohort of Sex Workers in Vancouver, Canada: Influence of Policing, Violence, and End-Demand Criminalization“ untersucht die strukturellen Hürden beim Zugang zu Kondomen für Sexarbeiterinnen in Vancouver über einen Zeitraum von acht Jahren. Der Fokus liegt insbesondere auf den Auswirkungen von Polizeipraktiken, Gewalt und der sogenannten „End-Demand“-Kriminalisierung (Sexkaufverbot), die den Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisiert.
Hintergrund und Zielsetzung
Sexarbeiterinnen sind überproportional von HIV und sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) betroffen. Während viele HIV-Präventionsprogramme sich auf die medizinische Versorgung konzentrieren, bleiben Kondome eine essenzielle Schutzmaßnahme, deren Zugang jedoch durch verschiedene strukturelle Faktoren eingeschränkt wird. Die Studie untersucht daher die Zusammenhänge zwischen Schwierigkeiten beim Zugang zu Kondomen und Faktoren wie Arbeitsplatzbedingungen, Polizeikontrollen und Gewalt.
In vielen Ländern, einschließlich Kanada, wurde die Gesetzgebung dahingehend geändert, dass nicht mehr die Sexarbeiterinnen, sondern ihre Kunden kriminalisiert werden. Dies soll angeblich die Sicherheit der Sexarbeiterinnen verbessern. Kritiker argumentieren jedoch, dass dies nicht die erhofften positiven Effekte hat, sondern sie in noch unsicherere Arbeitsumfelder drängt. Die vorliegende Studie untersucht die tatsächlichen Auswirkungen dieser Maßnahmen auf den Zugang zu Kondomen.
Methodik
Die Studie basiert auf Daten der „An Evaluation of Sex Workers‘ Health Access“ (AESHA)-Kohorte, einer seit 2010 laufenden Langzeitstudie mit Sexarbeiterinnen in Vancouver. Die Teilnehmerinnen, sowohl cis- als auch transgeschlechtliche Frauen, wurden in verschiedenen Arbeitsumfeldern – von Straßenarbeit bis zu Indoor-Etablissements – rekrutiert und füllten alle sechs Monate Fragebögen aus. Dabei wurden demografische Merkmale, Arbeitsbedingungen, Erfahrungen mit Gewalt und polizeilicher Repression sowie der Zugang zu Kondomen erfasst.
Zusätzlich wurden qualitative Interviews mit einigen der Teilnehmerinnen geführt, um ein tiefergehendes Verständnis für die realen Erfahrungen der Frauen zu gewinnen. Die statistische Analyse erfolgte mittels logistischer Regression, um die langfristigen Zusammenhänge zwischen den untersuchten Faktoren zu modellieren.
Ergebnisse
Von den 884 Studienteilnehmerinnen berichteten 19,1 % über Schwierigkeiten beim Zugang zu Kondomen. Besonders betroffen waren sexuell und geschlechtliche Minderheiten, Sexarbeiterinnen, die im Freien arbeiteten sowie jene, die physische oder sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz erlebten. Auch Belästigung durch die Polizei und durch die Gemeinschaft wurden mit erschwertem Zugang zu Kondomen assoziiert. Interessanterweise zeigte die Einführung der „End-Demand“-Gesetzgebung keinen positiven Effekt auf den Zugang zu Kondomen.
Weiterhin ergab die Studie, dass viele Sexarbeiterinnen aufgrund der Angst vor polizeilichen Repressionen häufig darauf verzichteten, Kondome mitzuführen, da diese in einigen Fällen als Beweismittel gegen sie verwendet wurden. Dies war besonders bei Sexarbeiterinnen der Fall, die in Straßenarbeit tätig waren. Die Verlagerung der Arbeit in unsicherere Gebiete führte zudem zu einem erhöhten Risiko für Gewalt und Übergriffe.
Die Studie beleuchtet ebenfalls die Rolle sozialer Unterstützungsnetzwerke und Gesundheitsprogramme. Teilnehmerinnen, die Zugang zu mobilen Gesundheitsdiensten oder Peer-Unterstützungsprogrammen hatten, berichteten seltener über Probleme beim Zugang zu Kondomen. Dennoch sind diese Programme oft unzureichend finanziert und nicht flächendeckend verfügbar.
Diskussion und Schlussfolgerungen
Trotz des erklärten Ziels der „End-Demand“-Gesetzgebung, die Sicherheit von Sexarbeiterinnen zu verbessern, zeigt die Studie, dass diese keine Erleichterung beim Zugang zu Kondomen brachte. Vielmehr scheinen die Kriminalisierung und polizeiliche Maßnahmen bestehende Barrieren zu verstärken, indem sie Sexarbeiterinnen in gefährlichere Arbeitsumgebungen drängen und den Zugang zu Gesundheitsdiensten erschweren.
Sexarbeiterinnen, die im Freien arbeiten oder Gewalt erleben, sind besonders benachteiligt. Die Studie hebt hervor, dass Sexarbeiterinnen in Angst vor polizeilichen Repressionen häufig darauf verzichten, Kondome bei sich zu tragen oder Gesundheitsdienste aufzusuchen. Auch die Stigmatisierung durch Anwohner und Geschäftsinhaber erschwert die Situation zusätzlich.
Ein weiteres Problem ist der eingeschränkte Zugang zu Gesundheitsdiensten. Viele der befragten Sexarbeiterinnen berichteten, dass sie sich aufgrund der Stigmatisierung und Diskriminierung durch das medizinische Personal unwohl fühlten, Gesundheitszentren oder Krankenhäuser aufzusuchen. Dies führt zu einer geringeren Nutzung von STI-Tests und anderen Präventionsmaßnahmen.
Die Autorinnen empfehlen daher eine Entkriminalisierung der Sexarbeit, um den Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schutzmaßnahmen zu verbessern. Neben der rechtlichen Liberalisierung wird zudem die Ausweitung von mobilen Gesundheitsdiensten und peer-basierten Unterstützungsprogrammen vorgeschlagen. Diese Maßnahmen könnten helfen, die Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiterinnen nachhaltig zu verbessern.
Bedeutung der Studie
Diese Studie leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Auswirkungen der Kriminalisierung von Sexarbeit auf die Gesundheit und Sicherheit von Sexarbeiterinnen. Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines menschenrechtsbasierten Ansatzes in der HIV-Prävention und zeigen, dass eine restriktive Gesetzgebung oft kontraproduktive Effekte hat. Stattdessen sind umfassende Maßnahmen erforderlich, die den strukturellen Barrieren entgegenwirken und Sexarbeiterinnen einen sicheren Zugang zu Präventionsmitteln wie Kondomen ermöglichen.
Die Studie zeigt zudem, dass kriminalisierende Maßnahmen nicht dazu beitragen, Sexarbeiterinnen zu schützen, sondern sie vielmehr in unsicherere und riskantere Arbeitsumfelder drängen. Eine entkriminalisierte, regulierte Umgebung würde hingegen den Zugang zu Gesundheitsdiensten verbessern und dazu beitragen, Gewalt und Diskriminierung zu reduzieren. Dies unterstreicht die Notwendigkeit politischer Reformen, die die Menschenrechte und das Wohlergehen von Sexarbeiterinnen in den Mittelpunkt stellen.
Weiterführende Empfehlungen
Basierend auf den Ergebnissen der Studie empfehlen die Autorinnen neben der Entkriminalisierung spezifische Maßnahmen, um den Zugang zu Kondomen und Gesundheitsversorgung zu verbessern. Dazu gehören:
Erhöhung der Finanzierung für mobile Gesundheitsdienste, um Sexarbeiterinnen in verschiedenen Arbeitsumfeldern zu erreichen.
Förderung von Peer-unterstützten Programmen, die den Aufbau von Vertrauen und den Zugang zu Schutzmaßnahmen erleichtern.
Schulungen für Polizeibeamte und Gesundheitspersonal, um die Stigmatisierung von Sexarbeiterinnen zu reduzieren und den Zugang zu Dienstleistungen zu erleichtern.
Bereitstellung von sicheren Arbeitsräumen, in denen Sexarbeiterinnen ohne Angst vor Repression arbeiten können und Zugang zu Schutzmaßnahmen haben.
Diese strukturellen Veränderungen könnten dazu beitragen, Sexarbeiterinnen besser zu schützen und ihre gesundheitliche Situation nachhaltig zu verbessern.
Der Volltext der Studie (englisch) findet sich hier.