Hallo, stell dich doch bitte kurz vor!
Mein Name ist Martin; wenn ich mir eines sensiblen Umgangs mit meiner Identität nicht sicher bin, nenne ich mich gerne in Anlehnung an meinen Beruf Thannatos oder Morpheus. Ich bin 61 Jahre alt und lebe im Großraum Köln, genauer: im Bergischen Land.
Genauso wie es eine große Bandbreite von Angeboten und Bedürfnissen gibt, so nehme ich sowohl achtsame Tantra-Massagen, klassische Overnights wie auch BDSM in Anspruch. Das eine schließt das andere nicht aus. Das eine ersetzt nicht das andere.
So kommt es durchschnittlich rund 1x/Monat zur Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen.
Was sind deine Beweggründe, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen? Welchen Stellenwert hat Sexarbeit für dich in deiner aktuellen Lebenssituation?
Es ist für mich Seelen- und Körper-Hygiene in einem geschützten Raum; natürlich auch Hedonismus, aber den habe ich mir erst nach und nach erlaubt. Der Stellenwert von Sexarbeit ist nicht hoch genug anzusetzen. Sie erzeugt eine innere Ausgeglichenheit, die spürbar auch auf mein Umfeld wirkt (ohne dass bekannt wäre, woher dies kommt).
Welche Erwartungen und/oder Befürchtungen hattest du vor deinem ersten Besuch bei einer/m Sexarbeiter*in? Welche sind in Erfüllung gegangen, welche nicht?
Meine größten Befürchtungen waren ein „Nicht-Angenommen-Werden“. Dass ich irgendwelchen „Erwartungen“ nicht gerecht werden würde. Dass ich mich lächerlich hätte machen können. Ob ich wirklich die Erwartung an die Sexarbeiterin gehabt habe, all diese Unsicherheit aufzufangen, glaube ich im Nachhinein nicht, aber sie tat es in einer für mich bis dato unbekannten respekt- und achtungsvollen Weise, die mir schon beim ersten Treffen eine gehörige Portion Respekt abverlangt hat.
Was ist dir wichtig bei der Entscheidung für eine(n) Sexarbeiter*in?
Die Texte auf der jeweiligen Seite (Homepage, Plattformen etc.) müssen mich irgendwie „packen“. Sie sollten nicht „platt“ oder „billig“ sein. Als Beispiel mag dienen, dass eine Sexarbeiterin dieses EINE Wort für Tantra-Massagen benutzte: „Verehrungsritual“. Für mich war sofort klar, welch Geistes Kind sie ist… Gefunden hatte ich diese Sexarbeiterin über justnotbed.com, worauf mich meine allererste Sexarbeiterin aufmerksam machte, was wiederum zeigt, wie diese „tickt“ und was mich an ihr angesprochen hat.
Welche Tips hättest du selbst gerne vor deinem ersten Besuch bei einer/m Sexarbeiter*in bekommen? Was hat dich überrascht?
Bleib du selbst. Versuche nicht, dich zu verstellen. Wenn du ein respektvoller Mensch bist, ok; wenn nicht, storniere die Buchung. Überrascht hat mich die Offenherzigkeit und die Überzeugung der Sexarbeiterin, den schönsten Beruf der Welt zu haben. Beneidenswert!
Wie läuft ein Treffen mit einer/m Sexarbeiter*in bei dir typischerweise ab?
Ich lege Wert auf ein ruhiges, aber auch niveauvolles Gespräch vorab. Dies findet i. a. R. bei einem gemeinsamen Abendessen statt. Da ich des Weiteren Wert auf eine gute Atmosphäre lege, buche ich kein schlichtes Zimmer, sondern eine Suite in entsprechendem Hotel. Ein gutes Verabschiedungsgespräch beim Frühstück am nächsten Morgen rundet diesen Tag „Urlaub“ ab. Wobei: was heißt schon „typisch“? Es gab verschiedenste Szenarien, Rollen bei Overnights. Es gab aber auch schon einen gemeinsam verbrachten Samstag von 11-24 Uhr. Typisch daran ist das gegenseitige Verständnis, die Achtung, der Respekt, das Niveau des Zusammenseins. Das Wort „Sympathie“ würde ggf. falsch verstanden werden.
Gibt es ein besonders schönes Erlebnis, das du als Kunde von Sexarbeiter*innen gemacht hast, das du mit uns teilen möchtest?
Das ist eine intime Frage! Ich will absichtlich nicht Beschreibungen aus Freier-Foren reproduzieren. Vielleicht nur die Umschreibung, dass ich mich zum ersten Mal in meinem Leben vollständig habe fallen lassen dürfen und diese Hingabe angenommen und sehr behutsam behandelt wurde, mein Vertrauen nie, wirklich NIE missbraucht wurde.
Inwiefern hat Sexarbeit dein Leben auch über die rein sexuellen Erlebnisse hinaus bereichert?
Ich sehe Sexarbeiterinnen leider jetzt erst – das muss ich zugeben – anders. Würdevoller, respektvoller, achtungsvoller, anerkennend. Ich hatte ja zuvor keine Ahnung! (Wenigstens muss ich mir nicht vorwerfen, früher abfällig gewesen zu sein, halt neutral) Bereicherung habe ich durch die vermittelten Inhalte und hinter den Seiten stehenden Menschen von justnotbed.com und supportiv-sexwork.com erleben dürfen. Ich habe sooo großen Respekt z. B. auch vor allen queeren oder nonbinären Menschen erhalten, die ja so viel (welt-)offener sind, als ich stinknormaler, langweiliger cis-Mann. Danke, dass es diese Menschen gibt. Ach ja: Mein Mietshaus wurde auch bereichert: bin seit kurzem Vermieter einer Sexarbeiterin 😊. Ich habe innerhalb kürzester Zeit eine rasante Persönlichkeitsentwicklung durchlebt, fühle mich jetzt endlich vollständig.
Nicht nur Sexarbeiter*innen, sondern auch deren Kund*innen werden in unserer Gesellschaft häufig stigmatisiert. Wie gehst du damit um? Gibt es Menschen in deinem Umfeld, die wissen, dass du sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmst? Wie fiel deren Reaktion aus? Hast du selbst stigmatisierende Erfahrungen gemacht?
Menschen, die wissen, dass ich sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehme, sind z.B. meine Kinder (29 und 31). Diesen ist als ersten aufgefallen, dass ich ausgeglichener, innerlich ruhiger bin. Also erzählte ich, woher das kommt. Kommentar meiner Tochter: „Ach Papa, wenn’s dir doch sooo gut tut… – Hauptsache, es ist nicht sexistisch.“ (Ich war erstaunt und zugleich glücklich über diesen Kommentar – scheint doch einiges richtig gelaufen zu sein in der Erziehung)
Weiß dein(e) Lebensgefährt*in, dass du sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmst? Wie geht ihr in eurer Partnerschaft mit diesem Thema um?
Der Beginn, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, kam auf Initiative meiner (leider mittlerweile zu früh verstorbenen) Ehefrau! Sie sagte schon vor geraumer Zeit zu mir: „Du bist so gestresst, angespannt, unruhig. Das kann ich nicht abfangen. Geh doch mal zur Tantra-Massage“. (Das war vor sage und schreibe erst 9 Monaten)
In der Politik wird aktuell über die Einführung eines Sexkaufverbots nach Vorbild des Nordischen Modells diskutiert. Was würde das für dich bedeuten? Warum engagierst du dich in der „Initiative Kundschaft pro Sexarbeit“ gegen die Einführung eines solchen Modells?
Das Nordische Modell verstößt schlicht gegen die Menschenwürde. Die detaillierten Einzelargumente in den verschiedensten Bereichen und Aspekten sind alle nachzulesen. Engagement ist wichtig, damit niemand sagen kann „Das ist doch nur eine uninteressante Randgruppe“. Man muss gehört werden. Man muss Aufmerksamkeit erzeugen. Für mich persönlich würde das Nordische Modell bedeuten, zum Straftäter zu werden, weil es mich eben nicht abhalten würde, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, weil ich mir meine Würde nicht nehmen lassen werde.
Und es hat sich gezeigt, dass das NM in all jenen Ländern, in denen es gilt, die von den Machern beabsichtigte Wirkung verfehlt hat und für alle Seiten nur Verschlechterungen gebracht hat.
Einige Menschen betrachten Sexarbeit als grundsätzlich moralisch verwerflich und befürworten deshalb die Einführung eines Sexkaufverbots. Was würdest du diesen Menschen erwidern?
Moral ist eine Definition einer Gesellschaft. Menschenwürde hingegen ein Grundrecht. Somit kann Moral nur für einen selbst gelten, nicht jedoch auf andere übertragen werden. (Sehr schöne Sätze – natürlich nicht alle, aber im Grundsatz – finden sich auch in der Evaluation des ProstSchG bzgl. der anzusetzenden Liberalität.)
Wie könnte aus deiner Sicht von politischer Seite sichergestellt werden, dass auch in Zukunft sowohl Sexarbeiter*innen als auch deren Kunden einvernehmlich sexuelle Dienstleistungen anbieten bzw. wahrnehmen dürfen und trotzdem effektiv gegen Zwang und Gewalt in der Sexarbeit vorgegangen werden kann?
Bei der Weiterentwicklung oder evtl. Änderungen des ProstSchG sollten noch stärker die entsprechenden Fachverbände befragt und mit einbezogen werden. Vorschläge liegen vor.
Hast du selbst schon einmal schwierige Situationen als Kunde von Sexarbeiter*innen erlebt? Wie bist du damit umgegangen?
Das ist mir nur einmal in der Schweiz passiert, da in manchen Kantonen Sexarbeit als unmoralisch gilt. Als ich im Hotel eine Zimmerkarte für die gebuchte Escort-Dame hinterlegen wollte, aber ihren Namen bzw. die Personaldaten nicht nennen konnte, wurde ich höflich gebeten, sie doch diskret selbst am Eingang in Empfang zu nehmen. Wirklich schlimme Situationen hatte ich bislang nicht.
Wie müsste sich die gesellschaftliche Debatte verändern, damit Stigmatisierung und Diskriminierung für alle Beteiligten in der Sexarbeit zukünftig abgebaut werden kann?
Die Gesellschaft müsste sich ändern. Des Deutschen liebstes Hobby scheint neben Fußball Diskriminierung, Stigmatisierung und Dogmatisierung zu sein. Ist ja auch einfach und bequem. Besonders in Bereichen, gegen die man sich nicht wehren kann. Ich fürchte, dass man genau diese Menschen, die empfänglich für Propaganda sind, nicht erreicht. Und ein Stigmatisierungsverbot von oben, also per Gesetz, sehe ich nicht. So bleibt nur die, wenn auch mühevolle, Arbeit in Einzelgesprächen, wo sie sich lohnen, aber auch offene Teilnahme an z. B. CSDs o. ä. Und natürlich Lobby-Arbeit wie durch Johanna Weber. Ein breit gefächertes Engagement je nach Fähigkeiten und Möglichkeit des Einzelnen.
Welche Frage haben wir dir noch nicht gestellt, die du gerne beantworten würdest?
Hast du selbst (berufliche) Erfahrung im Umgang mit Menschen?
Als Bestatter habe ich ständig mit Menschen in Ausnahmesituationen zu tun und weiß, wie empfindlich der gute Umgang und eine gute Begleitung sind. Umso besser kann ich die Leistung einer einfühlsamen Sexarbeiterin einschätzen, gleichzeitig wissend, dass es eine anstrengende, aber auch erfüllende Arbeit sein kann. Und gleichzeitig wissend, dass man nicht jeden „Fall“ oder „Kunden“ geistig mit nach Hause nimmt und sich privat distanzieren muss, um abzuschalten und Psychohygiene zu gewährleisten.
Hast du ein Schlusswort?
Ich empfinde aufrichtigen und tiefempfundenen Dank gegenüber jeder Sexarbeiterin, die ich kennenlernen durfte. Diesen Dank bringe ich auch jedes mal in einer persönlichen Nachschau zum Ausdruck – bin doch ein klein wenig stolz, dass eine meiner Dankes-Mails auf justnotbed (natürlich mit meinem vorher eingeholten Einverständnis) zitiert wurde. Jede von ihnen hat eine hochprofessionelle Dienstleistung erbracht. Mit solch großer Empathie, dass ich den ansonsten gerne falsch behafteten Begriff von „High-Class“ für mich persönlich neu definiert habe. Sexarbeit gehört aufgenommen in die Liste der ehrbaren Berufe.
