Hallo, stell dich doch bitte kurz vor!
Ich bin Rick, 36 Jahre alt und komme aus der Nähe von Leipzig. Ich besuche seit sieben Jahren BDSM-Studios, seit zwei Jahren regelmäßig etwa einmal im Monat.
Was sind deine Beweggründe, sexuelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen? Welchen Stellenwert hat Sexarbeit für dich in deiner aktuellen Lebenssituation?
Schon seit Grundschulzeiten hatte ich Fantasien, die ich zunächst natürlich nicht unter dem Begriff BDSM einordnen konnte,die mich aber seitdem bis heute begleitet haben. Ich komme ursprünglich aus dem eher ländlichen Raum, wo es keine privaten BDSM-Communities gab und habe diese Fantasien bis vor wenigen Jahren nie ausgelebt. Durch die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen im BDSM-Bereich habe ich einen geschützten Raum gefunden, in dem ich diese Seite meiner Sexualität erforschen kann. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, meine Sexualität in einem wertschätzenden Rahmen mit einer Sexarbeiterin regelmäßig ausleben zu können.
Welche Erwartungen und/oder Befürchtungen hattest du vor deinem ersten Besuch bei einer/m Sexarbeiter*in? Welche sind in Erfüllung gegangen, welche nicht?
Da einige meiner Fantasien für mich lange Zeit stark schambehaftet waren, war meine größte Befürchtung, auf Ablehnung zu stoßen, schlimmstenfalls mit Verachtung konfrontiert zu werden. Diese Befürchtung ist zu keiner Zeit in Erfüllung gegangen. Vielmehr habe ich von allen Sexarbeiterinnen, denen ich bisher begegnet bin, sehr viel Respekt und einen außergewöhnlich empathischen Umgang erfahren.
Vor meinem ersten Besuch in einem BDSM-Studio habe ich mir auch darüber Gedanken gemacht, wie es mein Selbstbild möglicherweise verändern wird, dass ich sexuelle Dienstleistungen gegen Geld in Anspruch nehme, kann aber heute sagen, dass ich diesbezüglich völlig mit mir im Reinen bin.
Trotz dieser Bedenken habe ich 2018 erstmals ein BDSM-Studio besucht. Die Hoffnung/Erwartung, dort eine Möglichkeit zu finden, lang gehegte Fantasien Realität werden zu lassen, ist glücklicherweise bei fast allen Besuchen nicht nur erfüllt, sondern oft sogar übertroffen worden.
Was ist dir wichtig bei der Entscheidung für eine(n) Sexarbeiter*in?
Nachdem meine ersten Besuche in einem BDSM-Studio – auch aufgrund der von meiner Seite nicht optimalen Kommunikation – noch nicht ideal verliefen, habe ich in der Folgezeit besonders darauf geachtet, dass ich mich insbesondere auch mit der Persönlichkeit der Sexarbeiterin wohlfühle. Gerade im BDSM-Bereich findet nach meiner Erfahrung vieles im Kopf statt und häufig haben Sexarbeitende im BDSM-Bereich besonders umfangreiche Websites und Social Media – Profile, auf denen man sich einen guten Eindruck verschaffen kann. Individuelle Texte, die über eine bloße Auflistung von angebotenen Praktiken hinausgehen, helfen mir zu entscheiden, ob wir innerhalb einer Session gut harmonieren könnten. Besonders wichtig ist es mir, genügend Vertrauen zu der Sexarbeiterin zu fassen, um auch über sehr intime Fantasien offen sprechen zu können. Seit ich das beherzigt habe, habe ich ausschließlich positive Erfahrungen gemacht.
Welche Tips hättest du selbst gerne vor deinem ersten Besuch bei einer/m Sexarbeiter*in bekommen?
Gute Kommunikation ist unglaublich wichtig – nicht nur im BDSM-Bereich, aber dort vielleicht in besonderem Maße. Es gibt eine große Vielzahl von Kinks, bei denen mitunter ein und dieselbe Praktik noch dazu aus völlig unterschiedlichen Bedürfnissen heraus als erregend empfunden wird. Sich über die eigenen Bedürfnisse klar zu werden und diese transparent zu kommunizieren, war für mich ein Prozess, der auch einige Überraschungen bereithielt und bis heute nicht abgeschlossen ist. Ein BDSM-spezifisches Problem ist, dass häufig das eigene Kopfkino einer zielführenden Kommunikation im Weg steht. Für mich hat es sich bewährt, sich außerhalb der Session, mindestens aber im Erstkontakt, auf Augenhöhe auszutauschen.
Wie läuft ein Treffen mit einer/m Sexarbeiter*in bei dir typischerweise ab?
Meist bereits einige Wochen im Voraus vereinbare ich einen Termin. Da ich seit ungefähr einem Jahr ausschließlich Sessions mit ein und derselben Sexarbeiterin buche, fällt diese Email meist relativ kurz aus. Im Studio gibt es ein Vorgespräch, in unserem Fall oft eher ein lockeres Plaudern, da wir uns bereits gut kennen. Meist buche ich Sessions mit einer Länge von zwei Stunden. Ein großer Vorteil von regelmäßigen Treffen mit der gleichen Sexarbeiterin ist für mich, dass ich ihr viel freie Hand lassen kann in der Gestaltung der Session, weil ihr meine Vorlieben und Tabus bestens bekannt sind. Das langfristig aufgebaute Vertrauen in Verbindung mit der Ungewissheit, was genau in der jeweiligen Session passiert, ermöglicht für mich eine besondere Intensität in den Sessions. Nach der Session gibt es ein Nachgespräch, um wieder im Alltag anzukommen. Einige Tage später schreibe ich meiner Sexarbeiterin eine längere Email dazu, wie ich die Session erlebt habe, was mir auch immer beim Integrieren des Erlebten hilft. Daraus ergeben sich dann oftmals bereits Impulse für die nächsten Treffen.
Gibt es ein besonders schönes Erlebnis, das du als Kunde von Sexarbeiter*innen gemacht hast, das du mit uns teilen möchtest?
Nachdem wir uns etwa ein Jahr lang kannten und bereits viele verschiedene Ideen in unsere Sessions integriert hatten, kam meine Sexarbeiterin auf einen Kink zu sprechen, der für mich immer schon einen großen Reiz ausgeübt hat, den ich aber bis dahin noch nie thematisiert hatte. Die erstmalige Realisierung dieser Fantasie war für mich die intensivste sexuelle Erfahrung meines Lebens. Seitdem zelebrieren wir diesen Kink in den verschiedensten Facetten einige Male im Jahr im Rahmen von ganzen Tagessessions, die für mich jedes Mal ein besonderes Highlight sind.
Inwiefern hat Sexarbeit dein Leben auch über die rein sexuellen Erlebnisse hinaus bereichert?
Die regelmäßigen Sessions haben einen großen Anteil daran, dass ich heute ein positives Verhältnis zu meiner Sexualität habe, was mich auch zufriedener und entspannter durch den Alltag gehen lässt. Darüber hinaus habe ich einen gesünderen Lebenswandel entwickelt, was meine Sexarbeiterin tatkräftig unterstützt.
Nicht nur Sexarbeiter*innen, sondern auch deren Kund*innen werden in unserer Gesellschaft häufig stigmatisiert. Wie gehst du damit um? Gibt es Menschen in deinem Umfeld, die wissen, dass du sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nimmst? Wie fiel deren Reaktion aus? Hast du selbst stigmatisierende Erfahrungen gemacht?
Zwei enge Freunde wissen, dass ich in der Vergangenheit sexuelle Dienstleistungen in Anspruch genommen habe, aber nicht, welch großen Stellenwert diese für mich in meinem Leben aktuell haben. Ihre Reaktion war recht neutral, wobei wir das Thema nicht vertieft haben. Obwohl ich Single bin und insofern alle Freiheiten habe, ist mir Diskretion wichtig, da sich im derzeitigen gesellschaftlichen Klima auch im beruflichen Kontext negative Konsequenzen leider nicht ausschließen lassen.
In der Politik wird aktuell über die Einführung eines Sexkaufverbots nach Vorbild des Nordischen Modells diskutiert. Was würde das für dich bedeuten? Warum engagierst du dich in der „Initiative Kundschaft pro Sexarbeit“ gegen die Einführung eines solchen Modells?
Die Einführung des Nordischen Modells würde mich in einen Zwiespalt bringen, da ich einerseits davon überzeugt bin, nichts Verwerfliches zu tun, andererseits die potentiellen Strafen aber durchaus eine abschreckende Wirkung auf mich hätten. Als besonders perfide empfinde ich es in diesem Zusammenhang, dass in mehreren Ländern neben Geld- und Gefängnisstrafen die öffentliche Bloßstellung und Stigmatisierung von Freiern nicht nur hingenommen, sondern explizit als Ziel beschrieben und forciert wird. Inwiefern sich tatsächlich etwas für mich verändern würde, hinge von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes ab.
Ich engagiere mich gegen ein Sexkaufverbot, weil es gegen das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung verstößt. Das Nordische Modell würde mich persönlich in eine schwierige Situation bringen, aber auch für Sexarbeitende eine Vielzahl von Nachteilen nach sich ziehen, z. B. einen schlechteren Zugang zu Gesundheits- und Sozialdiensten, ein größeres Risiko von Gewalterfahrungen und stärkere Stigmatisierung und Diskriminierung. Wissenschaftliche Studien, die diese Auswirkungen des Nordischen Modells in Ländern dokumentieren, die ein Sexkaufverbot bereits eingeführt haben, liegen in großer Zahl vor.
Einige Menschen betrachten Sexarbeit als grundsätzlich moralisch verwerflich und befürworten deshalb die Einführung eines Sexkaufverbots. Was würdest du diesen Menschen erwidern?
Insofern alle Beteiligten selbstbestimmt und konsensuell handeln, sehe ich Sexarbeit in keiner Weise als unmoralisch an. In ihrem offen transaktionalen Charakter betrachte ich sie als ehrlicher und moralischer als manche private sexuelle Kontakte, in denen die Beteiligten nicht immer ihre wahren Motive offenlegen.
Die Idealisierung von Sexualität innerhalb der monogamen Paarbeziehung, die eng mit Sexarbeitsfeindlichkeit verknüpft ist, entspringt einem christlich-konservativen Weltbild, das ich nicht teile und das in den letzten Jahrzehnten glücklicherweise stückweise abgebaut wurde. Die Tatsache, dass der Tatbestand der Vergewaltigung innerhalb der Ehe noch bis 1997 nicht existierte bzw. legal war, ist ein besonders drastisches Beispiel dafür, dass gesellschaftlich legitimiertes Verhalten in krassem Gegensatz zu meinen persönlichen Werten stehen kann.
Menschen wählen ihren Beruf nicht nur aufgrund ihrer Idealvorstellungen, sondern auch aufgrund ökonomischer Notwendigkeiten. Wer daran etwas ändern möchte, sollte sich gegen Prekarität in jeglicher Form – nicht nur innerhalb der Sexarbeit – einsetzen und in letzter Konsequenz auch die Systemfrage stellen, also mit der Frage befassen, wie eine humane Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aussehen kann.
Wie könnte aus deiner Sicht von politischer Seite sichergestellt werden, dass auch in Zukunft sowohl Sexarbeiter*innen als auch deren Kunden einvernehmlich sexuelle Dienstleistungen anbieten bzw. wahrnehmen dürfen und trotzdem effektiv gegen Zwang und Gewalt in der Sexarbeit vorgegangen werden kann?
Die notwendigen Gesetze gegen Zwang und Gewalt in der Sexarbeit existieren bereits. Der Polizei fällt es nach eigener Aussage nicht immer leicht, auf Basis dieser Gesetze effektiv gegen Missstände vorzugehen. Aus partizipativen Studien mit Sexarbeitenden wissen wir, dass sie aufgrund von diskriminierenden Erfahrungen häufig keine Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit offiziellen Behörden sehen. Dieses Problem hat sich in Ländern, die das Nordische Modell eingeführt haben, zusätzlich verschärft. Als wichtige Grundlage dafür, die bestehenden Gesetze gegen Zwang und Gewalt in der Sexarbeit erfolgreich umzusetzen, sehe ich deshalb die Schaffung nichtstigmatisierender Strukturen und die Anerkennung von selbstbestimmter Sexarbeit als legitime Form von Arbeit inklusive aller damit verbundenen Arbeitsrechte.
Der Abbau von Stigmatisierung und Diskriminierung wird Zeit benötigen. Deshalb ist auch die bessere finanzielle Unterstützung von „Peer-Projekten“ (sexarbeitergeführte Unterstützungsangebote) essentiell, an die sich Sexarbeitende bei Problemen häufig bereitwilliger wenden, als an offizielle Stellen.
Eine besonders vulnerable Gruppe stellen Sexarbeitende mit Migrationshintergrund dar, die sich aufgrund aufenthaltsrechtlicher Probleme oft besonders schlecht zur Wehr setzen können. Die Bekämpfung von Zwang und Gewalt in jeglicher Form muss Vorrang haben vor migrationspolitischen Überlegungen.
Wie müsste sich die gesellschaftliche Debatte verändern, damit Stigmatisierung und Diskriminierung für alle Beteiligten in der Sexarbeit zukünftig abgebaut werden kann?
Eine Möglichkeit, Stigmatisierung abzubauen, besteht im direkten Austausch mit den Betroffenen. In diesem Sinne halte ich es für wichtig, Sexarbeitende aktiv in die gesellschaftliche Debatte und die politischen Entscheidungsprozesse zur gesetzlichen Regulierung von Sexarbeit einzubeziehen. Sexarbeit ist vielfältig und die Erfahrungen von Opfern von Menschenhandel oder Zwangsprostitution sind ebenso zu respektieren wie die Stimmen von Sexarbeitenden, die ihre Tätigkeit selbstbestimmt ausüben, letztere wiederum aus den verschiedensten Motiven, die von ökonomischer Notwendigkeit bis hin zu der Überzeugung, eine sinnstiftende und erfüllende Tätigkeit auszuüben, ein breites Spektrum umfassen. Die Bereitschaft und Fähigkeit, auf eine komplexe Realität mit differenzierten gesetzlichen Rahmenbedingungen und an den verschiedenen Bedarfen orientierten Unterstützungsangeboten zu reagieren, sollte der Selbstanspruch einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft sein.
