Sexkaufverbot – wiederholte Geschichte?
Wenn man die Bemühungen der Sexkaufgegner und Befürworter des Nordischen Modells beobachtet, muss man unwillkürlich an vergangene Zeiten zurück denken: gab es so etwas nicht früher schon einmal?
Ja, leider. Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts erstarkte in den USA eine Bewegung, die den Alkohol zu ihrem Feindbild erklärt hatte. Hintergründe waren religiöse, sittliche, humanistische und politische Bestrebungen, die eine moralische Reform der Gesellschaft zum Ziel hatten. Es gelang, den moralischen Druck auf den Senat der USA so weit zu verstärken, bis dieser die Alkoholprohibition beschloss, die Anfang 1920 in Kraft trat.
Ähnliche Hintergründe findet man auch bei den Sexkaufgegner*innen. Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade die christlich-konservative Frauen-Union sich besonders stark gegen Prostitution engagiert.
Aber nicht nur in den sittlich-moralischen Motiven gleichen sich die Alkohol- und die Sexkaufgegner*innen, sondern auch in vielen anderen Dingen.
Zuerst einmal zeichnen sich beide Themenbereiche durch eine breit gefächerte Vielfalt aus, die sich vom Missbrauch bis zum puren Genuss erstreckt.
Beim Alkoholkonsum gibt es Alkoholiker und Menschen, die durch Kontrollverlust und Aggressivität großen Schaden anrichten können, aber es gibt auch Menschen, die an kalten Tagen einen Glühwein genießen, in geselliger Runde eine Feuerzangenbowle zelebrieren, zum Mittagessen ein Glas edlen Rotwein schätzen oder zum Geburtstag mit einem Glas Sekt anstoßen. Die Herstellung von Bier, Wein und Whiskey wurde zu einem hoch entwickelten Kulturgut perfektioniert. Aus dieser umfangreichen Bandbreite pickten sich die Alkoholgegner den negativsten Aspekt heraus –
die Alkoholiker – und blähten ihn so stark auf, bis er alle anderen Aspekte verdeckte.
Ähnlich sieht es auch bei der Prostitution aus. Der Gesetzgeber hat sie definiert als sexuelle Handlungen, die gegen Geld hingenommen, ausgeübt oder vorgeführt werden können und ebenfalls die gesamte Bandbreite vom Missbrauch bis zum puren Genuss abdecken. Prostitution findet nicht nur in so genannten Rotlichtbezirken statt, wo man auf Zwangsprostitution und Zuhälterei treffen kann, die sich auf dem Straßenstrich, in Laufhäusern oder Massenbordellen abspielt. Prostitution kann praktisch überall stattfinden: im kleinen Bordell im Industriegebiet, im Massagestudio, im Hotelzimmer und in der Nachbarwohnung nebenan. Es gibt Sexworkerinnen, die den ganzen Tag lang einen Kunden nach dem anderen befriedigen müssen, es gibt Frauen, die in Studios für erotische Massagen arbeiten, weil sie Sex mit fremden Männern ablehnen, und es gibt High Class Escorts, die in einer einzigen Nacht mehrere tausend Euro verdienen. Daneben wird Prostitution von sehr vielen Personen nur als Nebenerwerb ausgeübt. Dazu gehören heterosexuelle Männer, die aus purer Geldnot im Homosexuellenmilieu auf Kundensuche gehen, dazu gehören junge Frauen, die ihr brandneues I-Phone oder ihr Studium finanzieren, ohne dass ihre Eltern etwas davon ahnen, und dazu gehören reife Damen, die abends in einem liebevoll eingerichteten Studio ihre Kundinnen und Kunden mit Tantramassagen verwöhnen. Die Edelprostituierte Salomé Balthus schrieb in einem ihrer Blogs: „Prostitution ist ein Massenphänomen und zieht sich durch die gesamte Gesellschaft.“ Dessen ungeachtet picken sich die Sexkaufgegner ebenfalls den negativsten Aspekt heraus – die Zwangsprostitution – und versuchen, ihn aufzublähen und alle anderen Aspekte zu verdecken.
Die nächste Gemeinsamkeit ist, dass aus dem jeweils herausgepickten Aspekt ein passendes Klischeebild gebastelt wird. Damals hieß es „wer Alkohol trinkt, wird abhängig, erleidet einen sozialen Absturz und landet in der Gosse.“ Heute behauptet man „Prostitution ist Geschlechtsverkehr, der von osteuropäischen Zwangsprostituierten für wenig Geld an brutale Freier verkauft wird.“ Alle anderen Aspekte fallen unter den Tisch und werden bis zur Bedeutungslosigkeit totgeschwiegen.
Weiter geht es mit Populismus in Reinkultur. Nachdem das jeweilige breite Themengebiet auf eine einzige einfache Thematik eingedampft ist, kann man das vermeintliche Übel mit ebensolchen Mitteln aus der Welt schaffen: wir verbieten es einfach, und alles wird gut! Dass alle anderen Bereiche des jeweiligen Themengebietes mehr oder weniger unter negativen Konsequenzen zu leiden haben, wird totgeschwiegen, abgestritten oder als unvermeidbarer Kollateralschaden abgetan.
Das jeweilige Klischeebild wurde bzw. wird mit großem Fanatismus in die Köpfe der Bevölkerung und Politiker gehämmert, um moralischen Druck aufzubauen. Ein probates Mittel dafür ist Polemik, die das jeweilige Themengebiet in möglichst schlechtes Licht rücken soll. Aus den Zeiten vor dem Alkoholverbot ist darüber wenig überliefert außer einige Plakate, die Alkoholkonsum aufs Korn nehmen. Umso mehr Polemik ist bei den Sexkaufgegner*innen zu erkennen:
- „Prostitution ist Gewalt gegen Frauen“ wird definiert, ungeachtet der Tatsache, dass die männliche Prostitution völlig ohne Frauen stattfindet, dass in Bereichen von BDSM und Dominas Männer sich bewusst in die Gewalt von Frauen begeben oder dass Gewalt bei Tantramassagen völlig undenkbar ist.
- Der Anteil der Zwangsprostituierten wird mit 90% angegeben. Diese Zahl ist in keiner Weise durch repräsentative Statistiken belegt, und es ist völlig undenkbar, dass die vielen Prostituierten, die keinerlei Berührung mit der Rotlichtkriminalität haben, in die restlichen 10% passen.
- Ehemalige Prostituierte wie Huschke Mau bezeichnen sich selbst als „Überlebende“. Damit soll suggeriert werden, dass Prostitution eine lebensbedrohende Gefahr wäre wie der Untergang der Titanic oder wie ein Flugzeugabsturz. In Wahrheit jedoch sterben rein rechnerisch mehr Prostituierte im Straßenverkehr als durch Rotlichtkriminalität.
- Es wird nicht von Prostituierten gesprochen, sondern von „prostituierten Frauen“. Damit soll unterschwellig suggeriert werden, dass Frauen grundsätzlich von anderen Personen (d.h. Zuhältern) prostituiert wurden, und nebenbei verschwinden auch noch die männlichen Prostituierten aus dem Blickfeld.
- Häufige Formulierung „Frauen verkaufen sich“ oder „Frauen verkaufen ihren Körper“. Bei der Prostitution wird jedoch lediglich eine Dienstleistung verkauft, während eine materielle Ware bei einem Kauf den Besitzer wechselt, und zwar dauerhaft.
Zur Polemik gesellt sich noch ein ähnliches Element: die so genannte Rosinenpickerei. Man sucht sich aus der großen Menge der Menschen, die mit der jeweiligen Thematik zu tun haben, ein paar Paradebeispiele heraus, die in die eigene Agenda passen. So präsentierten die Alkoholgegner einige ehemalige Alkoholiker, die über ihre schrecklichen Erfahrungen mit Alkohol berichteten – natürlich mit dem Anspruch, stellvertretend für alle Menschen zu sprechen, die alkoholische Getränke konsumieren. Genau so haben die Sexkaufgegner ihre Vorzeige-Prostituierte, die ausführlich ihre furchtbaren Erlebnisse mit widerlichen Freiern und brutalen Zuhältern schildern. Obendrein werden auch noch die Kunden angeprangert: auf einer Webseite sind Zitate aus Freierforen zusammengestellt, wobei natürlich nur diejenigen Einträge heraus gepickt wurden, die ganz besonders ekelhaft und Frauen verachtend wirken. Auch diese Zitate werden so hingestellt, als ob sie und die dahinter stehende Denkweise grundsätzlich typisch für sämtliche Kund*innen erotischer Dienstleistungen wären. Dass es auch viele Einträge gibt, in denen Frauen empfohlen, gelobt, ja geradezu vergöttert werden, brauchen die Leser*innen ja nicht zu wissen.
Zu guter Letzt noch eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Alkoholverbot und dem Sexkaufverbot: die Beurteilung der Ergebnisse. Zwar wurde die Alkoholprohibition nach 12 Jahren wieder abgeschafft, weil sie dem organisierten Verbrechen zu einer Blütezeit verholfen hatte, dennoch gibt es eine Vielzahl von so genannten „Dry Countys“, in denen das Alkoholverbot nach wie vor gültig ist, weil man es dort offensichtlich immer noch für eine gute Sache hält. Ähnlich sieht es beim Nordischen Modell aus: dort, wo es eingeführt wurde (vor allem in Schweden), wird es als großer Erfolg angepriesen, ungeachtet der kritischen Untersuchungen, die beachtenswerte negative Begleiterscheinungen dokumentieren. So wie während der Prohibition der Alkoholgenuss ins Verborgene verlagert wurde, so verschwand auch ein großer Teil der Prostitution im Untergrund. So wie damals der Alkoholkonsum gefährlicher wurde, weil die Qualität des Alkohols immer schlechter wurde, so wird auch die Qualität der Prostitution immer weiter sinken – sowohl für die Kund*innen als auch für die Sexarbeiter*innen.
Fazit: Wir sollten uns davor hüten, Geschichte zu wiederholen, besonders wenn sie schon einmal krachend gescheitert war.